Niedrigere Strompreise brauchen einen funktionierenden Wettbewerb

Strompreise in Deutschland gehören im internationalen Vergleich zu den höchsten. Im Privatsektor sind die Preise heute fast dreimal so hoch wie vor 20 Jahren. Die kontinuierlich steigenden Strompreise drohen zudem die Akzeptanz der Energiewende zu gefährden. Was kann die Politik tun? Sie muss für einen funktionierenden Wettbewerbsmarkt und somit eine effiziente Preisbildung im Stromsektor sorgen. Entscheidend dafür: ein CO2-Preis.

Infolge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine sind die Strompreise in Europa stark angestiegen. Dies war insbesondere auch eine Folge stark angestiegener Gaspreise, die an der Strombörse im Rahmen der sogenannten Merit-Order regelmäßig eine preissetzende Funktion haben.

Zwar sind in den vergangenen sechs Monaten sowohl im Gas- als auch im Stromspotmarkt wieder fallende Preise zu beobachten, im 24- bzw. 36-Monats-Trend bleibt aber nach wie vor ein deutlicher Anstieg um jeweils mehr als 100 Prozent bestehen [1].

Auch die Preise im Europäischen Emissionshandelssystem (EU-ETS) sind seit April 2020 (20 Euro/t Co2-Äquivalent) deutlich gestiegen; hier ist außerdem kein nachhaltiger Rückgang der Preisentwicklung zu beobachten. Die Preise notieren im März 2023 bei 97 Euro/t Co2-Äquivalent und damit fast auf historischem Höchststand [2].

Die jüngsten Entwicklungen erhöhen die ohnehin bereits sehr hohen Strompreise in Deutschland zusätzlich. Im europäischen Vergleich zählten die Strompreise in Deutschland sowohl für Privatkunden (siehe Abbildung 1) als auch für viele gewerbliche und industrielle Kunden (siehe Abbildung 2) zu den höchsten. Im Privatsektor sind die Strompreise heute fast dreimal so hoch wie vor 20 Jahren (siehe Abbildung 3).

  • Abbildung 1Eigene Darstellung nach www.strom-report.de

  • Abbildung 2Eigene Darstellung nach www.bmwk.de

  • Abbildung 3Eigene Darstellung nach www.tech-for-future.de

Die kontinuierlich steigenden Strompreise drohen dabei zumindest mittelfristig die Akzeptanz der Energiewende zu gefährden. Zusätzlich gefährden langfristig hohe Strompreise die Wettbewerbsfähigkeit von Industrie und hier beheimateten Unternehmen. Auch Anreize zur Elektrifizierung (z.B. Umstieg auf Elektromobilität oder Wärmepumpe), die ein entscheidender Bestandteil der Energiewende sind, werden durch hohe Strompreise geschwächt. Entsprechend hoch ist der Druck auf die Politik, durch geeignete Maßnahmen einen weiteren Strompreisanstieg mindestens aufzuhalten. Neben kurzfristigen Maßnahmen als Reaktion auf unerwartet angestiegene Gaspreise (z.B. Abschaffung der EEG-Umlage oder die sog. Strom- und Gaspreisbremsen) sollte der Blick dabei insbesondere auf ein langfristiges Strommarktdesign gerichtet werden, das einen funktionierenden Wettbewerbsmarkt und somit eine effiziente Preisbildung im Stromsektor zulässt.

Anforderungen an zukünftige Marktmechanismen

Eine zentrale Fragestellung im zukünftigen Marktdesign ist, wie erneuerbare Energien künftig vergütet werden sollen. Die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien soll nach den Plänen der Bundesregierung von derzeit knapp 50 Prozent auf 80 Prozent im Jahr 2030 erhöht werden. Vergütungsmodelle für erneuerbare Energien sollten daher insbesondere für Strommärkte mit einem sehr hohen Anteil an Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien geeignet sein. Eine effiziente Kosten- und Vergütungsstruktur, systemdienliche Standort- und Technologiewahl sowie systemdienliche Dispatch-Signale werden mit einem steigenden Anteil erneuerbarer Energien immer entscheidender.

Die an der Strombörse angewandte Merit-Order in Verbindung mit einem Uniform-Pricing-Modell ist zumindest in Normalzeiten ein effizienter Marktmechanismus. Dabei werden alle Kraftwerke zu jedem Zeitpunkt aufsteigend nach ihrem nachgefragten Preis sortiert und so lange zugeschaltet, bis die Nachfrage gedeckt ist. Der geforderte Preis des letzten noch benötigten Kraftwerks stellt dann den Vergütungspreis für alle akzeptierten Anlagen dar. Dadurch erhalten Anlagen einen starken Anreiz, Strom gemäß ihrer wahren Grenzkosten anzubieten, strategische Abweichungen (wie z.B. in anderen Auktionsverfahren) sind für Anlagen kaum sinnvoll. Ein solcher Mechanismus ist im Gegensatz zu vielen Alternativen daher in der Lage eine effiziente Preisbildung zu ermöglichen, und sollte daher im Wesentlichen beibehalten werden.

„Um direkte Förderinstrumente für erneuerbare Energien überflüssig zu machen, muss der CO2-Preis schrittweise auf ein Niveau gebracht werden, das erneuerbare Energien einzig aufgrund der indirekten Förderung konkurrenzfähig macht.“

Gleichzeitig bringen die witterungsbedingten erneuerbaren Energien (wie Wind- und Solarenergie) aufgrund der Volatilität ihrer Stromerzeugung sowie ihrer hohen Investitionskosten bei gleichzeitig sehr geringen Grenzkosten besondere Herausforderungen für den Strommarkt mit sich. So muss darauf geachtet werden, wie ausreichende Investitionsanreize entstehen, damit die anfänglich sehr hohen Investitionskosten in ausreichendem Maße getätigt werden.

Zum anderen kann die volatile und vergleichsweise schlecht steuerbare Erzeugung Schwierigkeiten im Gesamtsystem verursachen, da sowohl die Nachfrage als auch ergänzende flexible Anlagen (z.B. Gaskraftwerke) und Energiespeicher diese Volatilität zunehmend ausgleichen müssen. Zuletzt führen Grenzkosten von nahezu null dazu, dass witterungsbedingt erneuerbare Energien im Rahmen der Merit-Order immer als Erstes berücksichtigt werden, teurere Kraftwerke werden somit aus dem Markt verdrängt. Dies resultiert zum einen in insgesamt absinkenden Börsenstrompreisen (Merit-Order-Effekt), die die Rentabilität von fossilen Kraftwerken gefährden können, auch wenn deren Flexibilität grundsätzlich benötigt wird. Zum anderen verringert der steigende Zubau witterungsbedingter Anlagen insbesondere den Marktwert von Anlagen der gleichen Technologie, da ihre Einspeisungen zeitlich miteinander korrelieren (Kannibalisierungseffekt). Die erzielten Marktwerte dieser Anlagen sinken also mit ihrem zunehmenden Ausbau immer weiter ab.

Vergütungsmodelle für erneuerbare Energien

Um Effizienz- und Kostensenkungspotenziale zu heben, sollten erneuerbare Energien nach Möglichkeit Börsenstrompreisen ausgesetzt werden, da diese zu einem systemdienlichen Handeln anreizen (z.B. Zubau günstiger Technologien, Ergänzung mit flexiblen Technologien und Speichern oder Drosselung der Einspeisung bei negativen Börsenstrompreisen). Die gegenwärtig angewendeten einseitig gleitenden Prämien sind in dieser Hinsicht durchaus interessant, da sie wie eine Art „garantierter Mindestpreis“ wirken: Im Rahmen von Auktionen wird ein Zuschlagspreis (der garantierte Mindestpreis) ermittelt, die Anlage vermarktet sich anschließend an der Strombörse. Sinken die erzielbaren Marktpreise der Anlage in einem bestimmten Zeitraum unter den vereinbarten Zuschlagspreis ab, wird die Differenz durch eine entsprechend hohe Prämienzahlung ausgeglichen. Liegen die erzielbaren Marktpreise dagegen über dem Zuschlagspreis, ist keine Prämie fällig. Marktpreisanreize bleiben somit zumindest in Zeiten höherer Marktpreise bestehen. Gleichzeitig wird das Investitionsrisiko durch den „garantierten Mindestpreis“ begrenzt.

Um marktliche Anreize noch weiter zu verstärken, wäre jedoch ein weitgehender Wegfall von Prämienzahlung in Zukunft wünschenswert. In dieser Hinsicht wäre mittelfristig eine Fokussierung auf den (ebenfalls bereits implementierten) CO2-Preis als Leitinstrument interessant. Ein CO2-Preis erhöht die Stromentstehungskosten von (fossilen) Energieträgern gemäß ihrer Emissionsintensität und fördert somit indirekt erneuerbare Energien. Die Kostenbelastung für besonders emissionsintensive Energieträger (wie Braunkohle) erhöht sich also besonders stark. Je höher der CO2-Preis steigt, desto geringer werden die notwendigen direkten Förderprämien, die den Ausbau erneuerbarer Energien im gewünschten Umfang sicherstellen. Eine Fokussierung auf CO2-Preise würde dafür sorgen, dass Marktsignale und Anreize komplett erhalten bleiben. Somit entstünden Anreize zu einer aus marktlicher Sicht effizienten Standort- und Technologiewahl für Anlagen [3]. Außerdem entstände ein starker Dispatch-Anreiz, in Zeiten hoher Börsenstrompreise (verursacht durch Angebotsknappheit) möglichst viel Strom einzuspeisen und dafür Einspeisungen zu Zeiten niedriger oder sogar geringer Börsenpreise zu drosseln. Dies kann z.B. durch den Einsatz von Speichern oder ergänzenden, flexiblen Erzeugungsanlagen (z.B. synthetisches Gas oder Wasserstoff) geschehen, die durch ein rein marktliches Vergütungsmodell besonders angereizt werden.

Übergang in ein CO2-Preismodell

Um direkte Förderinstrumente für erneuerbare Energien überflüssig zu machen, muss der CO2-Preis schrittweise auf ein Niveau gebracht werden, das erneuerbare Energien einzig aufgrund der indirekten Förderung konkurrenzfähig macht. Je stärker der CO2-Preis steigt, desto geringer wären die notwendigen Zuschlagspreise im Rahmen einseitig gleitender Prämienmodelle, um die gewünschte Ausbaumenge an erneuerbaren Energien sicherzustellen. Sobald Ausschreibungen regelmäßig zu Nullprämien führen, wäre ein Übergang geschafft. Der Übergangsprozess kann dabei beispielsweise von einem (konstant ansteigenden) CO2-Mindestpreis begleitet werden, um Preis- und Investitionsrisiken zu reduzieren.

Schließlich sollte im Rahmen einer ganzheitlichen Betrachtung ein EU-weit einheitlicher CO2-Preis ermittelt werden, der aktuell bereits im Stromsektor angewandte Emissionshandel stellt dafür ein geeignetes System dar. Eine Erweiterung des Emissionshandels auf den Wärme- und Verkehrssektor kann die Kosteneffizienz von Emissionsreduktionen erhöhen, da Emissionen sektorübergreifend dort eingespart werden können, wo dies am günstigsten ist. Zudem wären verschiedene Mechanismen für verschiedene Sektoren aufgrund der zunehmenden Elektrifizierung perspektivisch ohnehin nicht mehr trennscharf. Ein verlässlicher Mindestpreis für den CO2-Ausstoß europaweit und über alle abgedeckten Sektoren hinweg kann sinnvoll sein, um Investitionsrisiken zu vermindern.

Der Beitrag basiert auf Teilergebnissen der Arbeitsgruppe Strommarkt der Zukunft des Akademienprojekts Energiesysteme der Zukunft sowie Haucap, Justus/Jonathan Meinhof. 2022. „Die Strompreise der Zukunft.“ Wirtschaftsdienst 102 (13): 53-60.

Fußnoten

[1] Siehe dazu Report Gaspreisentwicklung bei first-energy.net sowie Report Strompreisentwicklung bei first-energy.net

[2] tradingeconomics.com/commodity/carbon

[3] Beachtet werden müssen hier allerdings eventuelle Netzrestriktionen.

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Autor:

Prof. Dr. Justus Haucap und Jonathan Meinhof Prof. Dr. Justus Haucap ist Direktor des Düsseldorf Institute for Competition Economics (DICE) an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und ehemaliger Vorsitzender der Monopolkommission. Jonathan Meinhof ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand am DICE. Seine Forschungsschwerpunkte liegen insbesondere im Bereich der Energie- und Umweltökonomik.

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