Nach dem vorläufigen Ende der Schuldenbremse: der Blick nach vorne
Wo wir stehen
Die Schuldenbremse ist noch nicht endgültig Geschichte, aber sie ist für die kommenden Jahre jedenfalls stark in ihrer Wirkung eingeschränkt. Mit der Ausnahmeregel, die zulässt, alle Verteidigungsausgaben oberhalb von 1 % des BIP aus der Schuldenbremse auszunehmen, ist die finanzielle Wirkung der jüngsten Änderung des Grundgesetzes im Prinzip nach oben offen. Es ist noch gar nicht abzusehen, wie viele Schulden hier letztendlich in Zukunft gemacht werden – auch weil man mit dem „erweiterten Sicherheitsbegriff“ schon ein Vehikel gefunden hat, mit dem sich viele Ausgaben kreativ als verteidigungsrelevant etikettieren lassen.
Man kann eine Ausnahme für Verteidigung angesichts der russischen Bedrohung und der amerikanischen Unsicherheit dem Grunde nach wohl rechtfertigen, aber schon an der Umsetzung kann man zweifeln. Sollte man nicht zumindest die Ambition haben, die in der NATO vereinbarten 2 % des BIP, als dauerhafte Kernaufgabe des Staates ohne Verschuldung zu finanzieren? Wieso die ambitionslosen 1 %?
Und noch grundsätzlicher: Vermutlich wäre es sinnvoller gewesen, gar nicht mit einer nicht gedeckelten Ausnahme zu arbeiten, wie sie nun implementiert wurde, sondern ein Verteidigungssondervermögen einzurichten. Dann wäre klar: Wir finanzieren die schnelle Reaktion mit Schulden, aber nach einer Übergangszeit müssen wir wieder auf eine solide Finanzierung umschwenken.
All das passierte nicht, und das nährt den Verdacht, dass die prekäre Verteidigungssituation als Feigenblatt diente, um sich das politische Leben ganz grundsätzlich und allgemein für die nächsten Legislaturperioden haushaltspolitisch wesentlich leichter zu machen. Zu dieser Einschätzung trägt auch der nun einsetzende Umgang mit dem 500 Mrd.-Investitions-Sondervermögen bei. Wenn nun schon ernsthaft diskutiert wird, ob nicht auch Zuschüsse zur Gesetzlichen Krankenversicherung oder Subventionen für E-Autos aus diesem Topf finanziert werden können, dann lässt dies keine gute Entwicklung erahnen.
Was droht nun?
Es ist nicht unwahrscheinlich, dass wir in den kommenden Jahren einen kleinen, schuldenfinanzierten Boom sehen werden. Dass ein plötzlicher, starker Anstieg der staatlichen Nachfrage bei Unterbeschäftigung einen solchen Effekt haben wird, ist zu erwarten. Zu einem Teil wird dies aber bereits auf Kosten des Privatsektors passieren. Höhere Zinsen und höhere Preise für Investitionsgüter in den Sektoren, die durch die höheren Staatsausgaben an ihre Kapazitätsgrenze gebracht werden, sorgen dafür, dass private Investitionen stagnieren oder weiter zurückgehen.
In einigen Jahren stehen wir dann mit einer Schuldenstandsquote da, die bis zur Größenordnung von 90 % des BIP steigen könnte. Die Zinslasten im Kernhaushalt steigen, die Spielräume für effiziente und notwendige Staatsausgaben schrumpfen. Gleichzeitig stellen wir dann fest, dass die Politik, die es sich mit höheren Ausgabenspielräumen bequem gemacht hat, die politisch anspruchsvolleren Reformaufgaben vernachlässigt hat.
Die Regierung, die 2029 ins Amt kommt, könnte dann bereits mit der unangenehmen Kombination von unerledigten Aufgaben, geringen Budgetspielräumen, stagnierendem Bruttoinlandprodukt und hohem Schuldenstand konfrontiert sein. Im Klartext: Schwarz-Rot tut, was bereits die Bundesregierungen unter Angela Merkel taten. Man kauft sich Zeit und hofft, dass sich die Dinge schon von selbst regeln oder ein Wunder geschehen wird.
Was nötig wäre
Über die missglückte Grundgesetzänderung vom März dieses Jahres kann man lange lamentieren, aber nun ist sie passiert und die Frage ist, wie man das oben skizzierte Negativszenario noch verhindert.
Erstens ist das Ausnutzen des Sondervermögens eine Möglichkeit, aber kein Zwang. In welchem Umfang die 500 Mrd. genutzt werden, hängt von den jährlichen Haushalten ab, die von den kommenden Regierungen verabschiedet werden. Verantwortungsvoll wäre es, jetzt nicht zwanghaft alle Mittel bis zum Ablauf des Sondervermögens ausgeben zu wollen, sondern so sparsam wie möglich zu schauen, welche zusätzlichen (!) Investitionen, die nicht mehr aus dem Kernhaushalt finanziert werden können, tatsächlich sinnvollerweise aus dem Sondervermögen zu finanzieren sind.
Angesichts der langen Planungsphasen für Infrastruktur ist es gar nicht unwahrscheinlich, dass nur ein Teil der verfügbaren Mittel in neuen Beton gegossen wird. Der übliche Reflex der Politik wäre dann eine kreative Umwidmung anderer Ausgaben, um den Topf doch noch zu leeren. Dem muss sich vor allem die Union als eigentlich fiskalisch konservativerer Koalitionspartner widersetzen, auch wenn das politisch schwierig wird.
Zweitens darf auch die 1 %-Regel für die Verteidigungsausgaben nicht als zeitlich unbegrenzter Freibrief verstanden werden. Derzeit gilt in der NATO noch das 2%-Ziel für Verteidigungsausgaben, vermutlich wird dieses Ziel im Bündnis bald auf 3 % oder gar 3,5 % erhöht. Das sind dann permanente Staatsaufgaben, die perspektivisch auch solide aus Steuern, nicht mit Defiziten finanziert werden müssen. Die Schuldenlösung darf nur kurzfristig, für den schnellen Übergang gelten. Schon in wenigen Jahren muss die Politik diesen Übergang vollzogen haben.
Drittens müssen jetzt endlich all die angebotsseitigen Reformen durchgeführt werden, die wieder ein dauerhaft solides Wachstum des Produktionspotentials anstoßen. Schulden-Strohfeuer können dies nicht leisten. Es braucht Steuersenkungen, Entbürokratisierung und eine Deregulierung mit der Kettensäge, die endlich wieder unternehmerische Freiheit schafft. Nur dann haben wir eine Chance, aus den Schulden wieder herauszuwachsen. Aber ausgerechnet in diesem Punkt zeigen die neuen Koalitionäre bisher leider wenig Ambitionen.
Autor:

Prof. Dr. Jan Schnellenbach ist Inhaber des Lehrstuhls für Volkswirtschaftslehre, insb. Mikroökonomik, an der Brandenburgischen Technischen Universität (BTU Cottbus).