Monitoring der Energiewende: Der Realitätscheck kommt Jahrzehnte zu spät!
Besser viel zu spät als nie! Jahrzehntelang hat die Politik Nutzen und Kosten des Ausbaus der Erneuerbaren nicht hinterfragt. Schlimmer noch: Die Politik hatte gar kein Interesse an einer Kostenbilanzierung gezeigt, wie der Bundesrechnungshof wiederholt bemängelt hat. Mit dem am 15. September 2025 veröffentlichten Monitoringbericht zur Energiewende wurde zwar noch immer keine Kostenbilanz gezogen.
Monitorinbericht: Längst fälliger Realitätscheck für die Energiewende
Aber die Energiewende wurde einem ebenfalls längst fälligen Realitätscheck unterzogen. So wird in dem den Bericht begleitenden Dokument des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWE 2025) mit dem Titel „Klimaneutral werden – wettbewerbsfähig bleiben“ nicht nur ein Paket von 10 Maßnahmen vorgestellt, mit die Energiewende verbessert werden soll. Vor allem wird klargestellt, dass mit regenerativen Technologien erzeugter grüner Strom eben doch nicht kostenlos ist, sondern im Gegenteil hohe Kosten verursacht: „Die Annahme, dass Strom aus erneuerbaren Energien praktisch zum Nulltarif zur Verfügung gestellt werden kann, ist bei Berücksichtigung des Gesamtsystems falsch – durch diese verkürzte Sichtweise entstehen enorme wirtschaftliche Risiken“ (BMWE 2025:2).
Das BMWE stellt klar: Die Erneuerbaren sind alles andere als kostengünstig!
Damit wird die von Befürwortern der Erneuerbaren mantraartig vorgebrachte Behauptung, dass grüner Strom kostengünstig sei, weil Wind und Sonne bekanntlich keine Rechnung schicken würden, von offizieller Seite als falsch deklariert. Zudem wird klar benannt, welche Zusatzkosten die Erneuerbaren neben den Stromerzeugungskosten verursachen: „Photovoltaikanlagen und Windkrafträder produzieren nur, wenn die Sonne scheint und der Wind weht. Da der Strom aber unabhängig davon immer gebraucht wird, reichen die erneuerbaren Energien allein nicht aus – das Resultat sind hohe Investitionen in das gesamte Stromsystem, vor allem in Infrastruktur, Speicher, Netzausbau und Backup-Kapazitäten, die für eine verlässliche Stromversorgung erforderlich sind. Hinzu kommen enorme Kosten für Netzengpässe (Abregelung, Redispatch), die entstehen, wenn die Netze den erzeugten Strom nicht aufnehmen und transportieren können.“
Die Systemkosten können zu einer Kostenlawine führen
Diese Klarstellung ist nicht hoch genug einzuschätzen, schließlich werden die sogenannten Systemkosten für den Bau von Speichern, Netzen, Backup-Kapazitäten sowie anderer Infrastruktur, die nach der Studie „Neue Wege für die Energiewende (‚Plan B‘)“ in Billionenhöhe anfallen, bei Diskussionen um den Ausbau der Erneuerbaren gerne vergessen. Und die enormen Kosten, die durch den unkoordinierten Ausbau der Erneuerbaren, der nicht synchronisiert mit dem Ausbau der Stromnetze und -speicher erfolgt, werden ebenfalls nicht unter den Tisch gekehrt (BMWE 2025:2). Ein Teil dieser Kosten entsteht, weil Wind- und Solarparks wegen hohen Überschüssen an Solarstrom an sonnigen Tagen gegen Entschädigungszahlungen abgeregelt werden müssen (siehe Abbildung).

Auch die Alternative zur Abregelung von Erneuerbaren-Anlagen bei Stromüberschüssen, das Verschenken des Überschussstroms an das Ausland oder, bei negativen Strompreisen, sogar gegen eine Abnahmeprämie, wird vom BMWE (2025: 2) nicht verschwiegen: „Eine weitere Folge der ungesteuerten Stromproduktion der erneuerbaren Energien sind teure Überschüsse, die – häufig subventioniert – ins Ausland exportiert werden, während für die Verbraucher und Unternehmen im Inland die Preise und die Unsicherheit steigen.“
Tatsächlich kommt es infolge des massiven Ausbaus der Photovoltaik bei zugleich fehlenden Netzen, Speichern und sinkender Stromnachfrage immer häufiger zu negativen Preisen an der Strombörse (BHKW info 2025). So gab es im Jahr 2024 457 Stunden mit negativen Strompreisen — rund die Hälfte mehr als im bisherigen Rekordjahr 2023, als negative Strompreise in 301 Stunden auftraten. Und 2025 steuern wir auf einen neuen Höchstwert zu: Bis Ende Juni wurden 389 Stunden mit negativen Preisen gezählt – fast 75 Prozent mehr als im gleichen Zeitraum 2024. Das regelmäßige Einbrechen der Preise an der Börse an sonnigen Tagen verursacht Milliarden Euro an Zusatzkosten, die die deutschen Steuerzahler zu tragen haben: siehe meinen Beitrag „Die teure Kehrseite des neuen Solarbooms“ zur Rubrik „Ordnung der Wirtschaft“ der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.
Endlich: Für die Energiewende soll eine Kostenbilanz gezogen werden
Das BMWE-Dokument weist explizit darauf hin, dass all diese Kosten unser Energiesystem verteuern (BMWE 2025:2): Diese Kosten „müssen letztlich von Verbrauchern und Unternehmen über die Stromrechnung bezahlt werden“ sowie von den Steuerzahlern. Es ist deshalb sehr zu begrüßen, dass das Ministerium angekündigt hat, eine Kostenanalyse „als Folgearbeit unmittelbar in Angriff“ nehmen zu wollen.
Ebenfalls sehr zu begrüßen ist, dass der Erneuerbaren-Ausbau nicht mehr weiter ungebremst und ohne Rücksicht auf die Kosten erfolgen soll. So verkündete das Ministerium im ersten Punkt seines Zehn-Maßnahmen-Pakets (BMWE 2025: 4): „Wir bauen nur so viel zu, wie wir tatsächlich brauchen und es ökonomisch effizient ist. Wir vermeiden so ineffiziente Überkapazitäten.“ In letzter Konsequenz müsste diese Maßnahme einen sofortigen Stopp des Windkraftausbaus im Norden Deutschlands und einen Ausbaustopp der Photovoltaik im Süden bedeuten, denn von beidem hat Deutschland in diesen Regionen bereits zu viel.
Willkürlich gesetzte, überambitionierte Kapazitätsziele für Erneuerbare streichen
In jedem Fall sollte diese erste Maßnahme implizieren, dass nicht weiter an den zur Zeit der Energiekrise 2022 willkürlich gesetzten Ausbauzielen festgehalten wird. So wurde im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) für das Jahr 2030 die Kapazität der Windkraft an Land auf 115 Gigawatt festgeschrieben — fast doppelt so viel wie 2022. Bei der Photovoltaik sind sogar 215 Gigawatt vorgesehen, ebenfalls eine Verdopplung der heutigen Kapazität von rund 110 Gigawatt. Diese Vorgaben beruhen jedoch nicht auf ökonomischen Analysen, sondern wurden politisch gesetzt. Eine Konsequenz des Realitätschecks sollte daher das Streichen der äußerst ambitionierten Ziele für 2030 für die Photovoltaik sowie die Windkraft sein, sowohl für Anlangen an Land wie vor der Küste. Das Streichen dieser Ziele für einzelne Erneuerbare-Technologien wäre im Übrigen im Einklang mit der 7. Maßnahme, die das Überprüfen von Förderregimen und das systematische Senken von Subventionen vorsieht: „Strompreise müssen sich an Marktmechanismen orientieren – nicht durch Dauerförderung künstlich niedrig gehalten werden“.
Obgleich 25 Jahre zu spät, hat das Wirtschaftsministerium mit dem Monitoring eine ehrliche Bilanz der deutschen Energiepolitik vorgelegt und alle zehn in Reaktion darauf vorgeschlagenen Maßnahmen geben Anlass zur Hoffnung, dass die Energiewende — anders als bislang — künftig an allen drei Zielen des energiepolitischen Zieldreiecks ausgerichtet wird, nicht allein am Ziel der Umweltverträglichkeit. Insbesondere soll es neben dem scheinbar gerade erst entdeckten Ziel der Kosteneffizienz ein Mehr an Versorgungssicherheit geben. Das soll dadurch geschehen, dass „stabile, verlässliche Grundlastkraftwerke […] als Rückgrat der Versorgung neu aufgebaut werden – allen voran durch moderne Gaskraftwerke mit Umstellungsperspektive auf Wasserstoff“.
Gaskraftwerke als Grundlastkraftwerke einsetzen?
Diese Maßnahme muss allerdings sehr verwundern: Bislang galten Erdgaskraftwerke nicht als Grundlast-, sondern als Spitzenlastkraftwerke, denn ihr Betrieb ist wegen der hohen Brennstoffkosten deutlich teurer als der von Kernkraft- und Braunkohlekraftwerken, den typischen Grundlastkraftwerken. Dementsprechend werden Gaskraftwerke bislang vor allem dann eingesetzt, wenn Strom knapp ist und die Strompreise entsprechend hoch sind. Würden Gaskraftwerke künftig in der Grundlast eingesetzt werden, würde das sehr teuer werden — besonders dann, wenn statt Erdgas langfristig grüner Wasserstoff eingesetzt werden soll, denn der Preis von grünem Wasserstoff dürfte auch künftig ein Vielfaches des Preises von fossilem Erdgas betragen. Das würde dem übergeordneten Ziel, die Energiewende bezahlbar zu halten, diametral widersprechen. Es darf deshalb bezweifelt werden, dass wasserstofffähige Erdgaskraftwerke wirklich für die Grundlast eingesetzt werden sollen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass diese Kraftwerke allenfalls zur Überbrückung von Zeiten, in denen die Sonne nicht scheint und der Wind nicht ausreichend weht, eingesetzt werden sollen.
Kernkraft kann weiterhin eine kostengünstige Klimaschutzoption sein
Kein Zweifel herrscht indessen darüber, dass die Reaktivierung einer Reihe der zuletzt abgeschalteten Atomkraftwerke helfen würde, auf kostengünstige Weise die Stromversorgungssicherheit zu gewährleisten und die Treibhausgasemissionen zu verringern. Deshalb sollte es von höchstem gesellschaftlichem Interesse sein, dass sich ein privates Konsortium von deutschen und europäischen Unternehmen zusammengefunden hat, das der Bundesregierung umgehend ein Angebot vorlegen möchte, bis zu acht der zuletzt abgeschalteten Atomkraftwerke auf eigene Kosten — und somit ohne staatliche Subventionen — zu reaktivieren. Im Gegenteil: Dem Staat — und damit der Gesellschaft — würden dadurch Steuereinnahmen im hohen zweistelligen Milliardenbereich zukommen, abhängig von der Zahl an genehmigten Betriebsjahren (Laufzeit).
Eine AKW-Reaktivierung würde nicht nur die Einhaltung der Klimaschutzziele deutlich erleichtern. Auch die Anzahl an neu zu bauenden Erdgaskraftwerke, für die staatliche Subventionen in zweistelliger Milliardenhöhe gezahlt werden sollen, könnte deutlich geringer ausfallen. Die Bundesregierung sollte sich daher ein solches Angebot zur Reaktivierung von Atomkraftwerken, welche ehemals den weltweit höchsten Sicherheitsstandards genügten, reiflich überlegen.
Autor:

Prof. Dr. Manuel Frondel ist außerplanmäßiger Professor für Energieökonomik und angewandte Ökonometrie an der Ruhr-Universität Bochum und Leiter des Kompetenzbereichs „Umwelt und Ressourcen“ am RWI.