Mehr Ethik, mehr Ökonomik, mehr von beidem gemeinsam
Der Wirtschaftsethiker Ingo Pies nimmt die ordonomische Methode als den Denkansatz, um Wirtschaft mit Gesellschaft wieder zu versöhnen. Seine Hoffnungen beruhen auf moralischem Fortschritt insgesamt. An seinem Lehrstuhl an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg stellt er das analytische Handwerkszeug bereit.
Ordonomik ist ein Kunstbegriff. Ingo Pies, Professor am Lehrstuhl für Wirtschaftsethik an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, versteht darunter zunächst einmal eine Ordnungstheorie, die Ethik und Ökonomik miteinander verknüpft. Das Ziel sei – wie er formuliert – der „demokratischen Öffentlichkeit zu helfen, etwaige Blockaden gesellschaftlicher Lernprozesse besser zu verstehen – und zu überwinden“.
Sein nun erschienenes Buch „30 Jahre Wirtschafts- und Unternehmensethik“ versucht, sein Forschungsprogramm über Ordonomik in all seinen Facetten zu erläutern. Das Programm versteht sich als Wissenschaft in der modernen Gesellschaft und zielt darauf ab, zur gesellschaftlichen Aufklärung und Steuerung beizutragen. Anders ausgedrückt: In Ingo Pies‛ komplexer Abhandlung, einer Mischung aus abstrakter Grundlagenforschung und praktischer Anwendung, geht es um einen alten Traum, nämlich die Menschen „in der modernen Gesellschaft mit ihrer Wirklichkeit zu versöhnen“.
Pies möchte dazu beitragen, die „Moralparadoxen“ unserer Zeit zu identifizieren, zu erklären und transparenter zu machen. Auf rund 260 Seiten bietet er mit seinem Buch einen Überblick über die ordonomische Wirtschafts- und Unternehmensethik der vergangenen 30 Jahre, dokumentiert in zwei interdisziplinären Briefwechseln mit dem Wirtschaftsethiker Michael Schramm und dem Soziologen Klaus Leisinger die Möglichkeiten der ordonomischen Ordnung und bietet schließlich einen Ausblick auf die Entwicklungsoptionen seines Forschungsprogramms.
In der Marktwirtschaft handeln Unternehmen typischerweise gewinnorientiert. Das gilt sowohl für Familienunternehmen als auch für Kapitalgesellschaften. Die strukturelle Ursache ist der Wettbewerb. Unternehmen konkurrieren nun mal miteinander auf Absatz- und Beschaffungsmärkten. Unter der Rubrik „Business Ethics“ oder „Business and Society“ wird allerdings seit Jahrzehnten kontrovers darüber diskutiert, ob die Gewinnorientierung der Unternehmen legitim sei. Oder ob es nicht besser wäre, zur Lösung gesellschaftlicher Probleme die Unternehmen zu verpflichten, gesellschaftliche Bedürfnisse stärker zu gewichten oder sogar prioritär zu behandeln, anstatt sie der Gewinnorientierung unterzuordnen. Eine Diskussion, die uns noch lange begleiten wird.
Die ordonomische Wirtschaftsethik jedenfalls folgt dem Leitgedanken, dass es möglich sein muss, „Wettbewerbshandlungen institutionell einzurahmen und auf diese Weise die Anreizwirkungen des Wettbewerbs so auszugestalten, dass Konkurrenz für das moralische Anliegen gesellschaftlicher Kooperation in Dienst genommen wird“, schreibt Ingo Pies. Und so ist es keine Überraschung, dass die den Prinzipien der Ordonomik folgende Unternehmensethik genau diesen Gedanken aufgreift: Pies sieht Firmen und Betriebe in der Rolle von sogenannten Wertschöpfungsagenten, die im Auftrag der Gesellschaft handeln (sollten oder sogar müssen). Sie erfüllen diesen Auftrag zum einen durch Produktionseffizienz und Innovationsdynamik. Und zum anderen, indem ihnen die produktiven und innovativen Leistungen dadurch gelingen, dass sie moralische Bindungen als Produktionsfaktor einsetzen.
Pies begreift Unternehmen als „Organisationsbürger“ (Corporate Citizens), die eben nicht nur auf Gewinn abzielen, sondern sich auch politisch engagieren, um die moralischen Anliegen der modernen Gesellschaft besser zu verwirklichen. In der Praxis kann dies zum Beispiel durch die viel stärkere Beteiligung der Unternehmen an politischen Diskursen und Verhandlungen umgesetzt werden (Pies sieht hier die Hanse als beispielhaft). Dieses unternehmerische Engagement umfasse aber auch genauso gut die Installation von Verbandsstrukturen und Branchenstandards bis zu Partnerschaften wie der „Global Reporting Initiative“ oder der „International Organization for Standardization“. Die tatkräftige Umsetzung betreffe Gespräche zwischen Managern und Politikern, aber auch die öffentliche Kommunikation. Mit ihr könnten die Unternehmen mit Nachdruck auf die Gesetzgebung Einfluss nehmen. Auch gehören für Pies Vertragsgestaltungen und Incentivierungen, die zwischen Unternehmen (und anderen Akteuren) ausgehandelt werden, aus ordonomischer Sicht „zur politischen Governance unternehmerischer Wertschöpfungsnetzwerke“.
Zwar hätte unternehmerisches Engagement dort seine Grenzen, wo das Eigeninteresse am wirtschaftlichen Erfolg auch beim besten Willen nicht mit dem Gemeinwohl vereinbart werden könne. (Beispiel: Von einem Minenproduzenten sei nicht zu verlangen, dass er sich aktiv für ein Verbot von Minen einsetze. Wenn man solche Verbote wolle, müsse man sie den Unternehmen im Zweifelsfall von außen auferlegen, anstatt auf freiwillige Selbstregulierung zu setzen.) Doch die Rolle der Unternehmen als „Wertschöpfungsagenten“ sei für das sozioökonomische Gelingen einer Gesellschaft unerlässlich.
Fazit
Pies‛ Buch liefert einen wichtigen akademischen Beitrag für die wirtschafts- und unternehmensethische Forschung. Für den Normalverbraucher dürfte die Lektüre starker Tobak sein. Doch wer sich durchkämpft, wird die Forderung einer Kultivierung des politischen Engagements von „Corporate Citizens“, damit gesellschaftliche Aufklärung und Steuerung zukünftig besser funktioniert, überzeugend finden. Schade, dass dieser Ansatz noch Theorie ist und von der Praxis sehr weit entfernt scheint.
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Autor:
Dr. Martin Roos ist freiberuflicher Journalist. Er arbeitet als Autor, Ghostwriter und Redenschreiber für Unternehmen und Topmanager.