Grundsätze einer bürgerlichen Wirtschaftspolitik

Die Wirtschaftsmisere Deutschlands ist hausgemacht. Die kleinteilige und dirigistische Energiewende, ein überdimensionierter und zur Untätigkeit anreizender Wohlfahrtstaat, eine nicht auf die Erfordernisse des Arbeitsmarkts ausgerichtete Migrationspolitik, zunehmende industriepolitische Hybris, Überregulierung sowie die im internationalen Vergleich hohen Steuern entfalten in ihrer Kombination eine toxische Wirkung auf die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Wirtschaftsstandorts.

Die Stärken des Wirtschaftsstandortes Deutschland, die gewachsenen mittelständischen Strukturen, das bewährte duale Ausbildungssystem, die weiterhin hohe Innovationsfähigkeit oder die gute Einbindung Deutschlands in den europäischen und weltweiten Freihandel, können die Lasten einer fehlgeleiteten Wirtschaftspolitik kaum noch ausgleichen. Die vielen guten Ideen und Geschäftsmodelle, die deutsche Forscher und Unternehmer noch immer entwickeln, werden zu häufig an anderen Standorten umgesetzt. In dieser Situation gilt es, sich auf die deutschen Stärken und die bewährten Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft zu besinnen. Weder die lenkende Industriepolitik Frankreichs, die aggressive Geoökonomie Chinas oder die fiskalische Expansion der USA können Deutschland Orientierung geben.  Deutschland muss wieder seinen eigenen Weg zu mehr Produktivität, Wachstum, Sicherheit und Wohlstand für alle finden.

Diesen Weg kennzeichnen die zeitlosen Prinzipien der der Sozialen Marktwirtschaft. Diese setzen an den drei wesentlichen Problemen der Wirtschaftspolitik an: dem Anreizproblem, dem Wissensproblem und dem Machtproblem.

Das Anreizproblem geht von der Einsicht der Public-Choice Theorie aus, wonach gut gemeinte wirtschaftspolitische Maßnahmen oft unerwartete und unerwünschte Anreize schaffen können. In seinem Aufsatz „Was man sieht und was man nicht sieht“ beschrieb der französische Ökonom Frédéric Bastiat, dass die Fehlanreize und Kosten staatlicher Interventionen häufig versteckt und nur schwer erkennbar sind.

Das Wissensproblem bestimmt die Arbeiten von Friedrich von Hayek, wonach ein zentraler Planer oder eine Regierung nicht über wesentliche Informationen wie die Bedürfnisse und Präferenzen der Bürger oder die Erfolgschance von Technologien verfügt, um steuernd in Wirtschaftsprozesse eingreifen zu können.

Das Machtproblem steht im Kern des ordoliberalen Forschungsprogramms der Freiburger Schule. Demnach versuchen einzelne Interessengruppen umso offensiver sich einen Vorteil zulasten der Gemeinschaft zu verschaffen, je mehr der Staat verteilt und interveniert.

Eine bürgerliche Wirtschaftspolitik löst alle drei Probleme, indem sie auf Regeln, Wettbewerb und gewachsenes Vertrauen setzt:

1. Der Staat bestimmt die Spielregeln, nicht das Spielergebnis

Diese grundlegende Faustregel beschreibt am einfachsten, welche Rolle eine bürgerliche Wirtschaftspolitik dem Staat zuweist. Das Setzen von stabilen, allgemeingültigen und abstrakten Regeln ist eine wichtige Aufgabe des Staates, auf die er sich konzentrieren sollte. Erst ein regelbasierter Ordnungsrahmen gibt den Marktakteuren ausreichend Berechenbarkeit, um Entscheidungen treffen und Risiken eingehen zu können. Die Konsequenzen dieser Entscheidungen tragen die Akteure selbst, im Guten wie im Schlechten.

Die Regeln gilt es immer wieder den geänderten Anforderungen und den leitenden markwirtschaftlichen Prinzipien anzupassen, um Fehlentwicklungen und Fehlanreize auf der Regelebene rechtzeitig zu begrenzen, bevor der politische Druck für Interventionen des Staates in Märkte steigt. Eine solche ebenso mutige wie maßvolle Anpassung sollte weder mit nur kosmetischen Eingriffen an der Oberfläche noch mit radikalen Umstürzen gewachsener Institutionen verwechselt werden. Es geht um gleichzeitig gezielte und tiefgehende Reformen, die in Form von abstrakten Regeln das Eigeninteresse der Marktteilnehmer und der Staatsvertreter mit dem Gemeinwohlinteresse in Einklang bringen.

Das ist eine anspruchsvolle und dauerhafte Aufgabe, da Interessensgruppen auf dem wie Wilhelm Röpke es formulierte „Maskenfest der Ideologien“ ständig versuchen, den Staat für ihre Ideologien und Interessen zu instrumentalisieren. Ziel ist ein Ordnungsrahmen, der Machtkonzentrationen vorbeugt, den freien Zugang zu Märkten sichert, negative und positive externe Effekte einpreist, Informationsasymmetrien lindert und den diskretionären Entscheidungsspielraum von Politiker und damit den Einflussraum von Interessengruppen begrenzt.

2. Wettbewerb nutzt verstreutes Wissen und entmachtet

Der Wettbewerb ist der zentrale Mechanismus, der in marktwirtschaftlichen Systemen die wirtschaftlichen Aktivitäten koordiniert und stimuliert. Hayek beschreibt diesen Mechanismus als Entdeckungsverfahren, das dezentral in der Gesellschaft verstreute Wissen über Knappheiten, Produktionsverfahren und Präferenzen über den Preismechanismus allen Marktteilnehmern verfügbar macht. Unternehmen und Konsumenten passen sich an diese unaufhörliche Wissensproduktion an, suchen ständig nach neuen Produkten und Produktionsverfahren und stellen so sicher, dass Güter, Ressourcen und Dienstleistungen effizient eingesetzt werden.

Es ist das Verdienst der originären Ordoliberalen, neben der Effizienz des marktwirtschaftlichen Wettbewerbs auch die emanzipatorische und machtbegrenzende Funktion des Wettbewerbs als „genialstes Entmachtungsinstrument der Geschichte“ (Böhm) herausgestellt zu haben. Ein offener, regelbasierter Wettbewerb verhindert gesicherte Machtpositionen wie staatlich geschützte Monopole oder Kartelle. Dadurch wird gewährleistet, dass jeder – ob als Nachfrager oder Anbieter – Zugang zu Märkten erhält. Konsumenten sind auf Wettbewerbs­märkten nicht von mächtigen Unternehmen oder staatlichen Planern abhängig, um ihre Bedürfnisse zu befriedigen. An die Stelle einer einseitigen Abhängigkeit tritt über den Marktpreis für Leistungen eine gegenseitige Abhängigkeit zwischen Konsumenten und Anbietern.

Eine bürgerliche Wirtschaftspolitik unterscheidet zwischen der Wirtschaft als Oberbegriff für die einzelnen, interessengeleiteten Wirtschaftsakteure und der Marktwirtschaft als Oberbegriff für den freiwilligen Austausch zum gegenseitigen Vorteil aller Beteiligten. Die Versuche von einzelnen Wirtschaftsakteuren wie Verbänden oder staatsnahen Unternehmen, ihre Machtpositionen mit Hilfe des Staates durch künstliche Marktzutrittsschranken, Subventionen oder Preisbeschränkungen zu sichern, wehrt eine bürgerliche Wirtschaftspolitik ab. Sie zielt vielmehr darauf, Märkte so offen zu halten, damit der Preismechanismus und der spontane und dezentrale gesellschaftliche Interessenausgleich wirken können. Der Wettbewerb auf offenen Märkten bringt so die Freiheit in die Wirtschaft, schützt die Bürger vor wirtschaftlicher und staatlicher Machtballung und ermöglicht es jedem Einzelnen, seine Lebensziele autonom und unter fairen Bedingungen zu verfolgen.

3. Vertrauen und Werte in gewachsenen, anpassungsfähigen Institutionen

Seit Adam Smiths Theory of Moral Sentiment wissen wir, wie wichtig neben der Anerkennung der menschlichen Unvollkommenheit und Zwiespältigkeit die moralischen Grundlagen und unsere Empathiefähigkeit für das Funktionieren einer Gesellschaft und somit auch für den marktwirtschaftlichen Wettbewerb sind. Neben einem staatlichen Regelrahmen braucht es Akteure, die ihre Ideen, Werte und Netzwerke in diesen Wettbewerb einbringen. Zentrale Akteure einer bürgerlichen Wirtschaftspolitik sind sowohl fest verwurzelte, oft familiengeführte mittelständische Unternehmen ebenso wie neue Geschäftsmodelle verfolgende Start-Ups. Diese eigenverantwortlichen Unternehmen füllen die Wettbewerbsordnung mit Leben und sind das wichtigste Korrektiv einer zur Zentralisierung und Intervention neigenden Staatswirtschaft. Unternehmer, die sich ihrer Verantwortung für ihr Unternehmen und die Gesellschaft bewusst sind, tragen zudem zu einer grundlegenden Vertrauensbasis bei, der jede funktionierende Marktwirtschaft bedarf. Nur wenn neben dem Handeln des Staates auch das Handeln der einzelnen Akteure berechenbar ist und wir uns auf einen gewachsenen, elementaren Normenkonsens verlassen können, entstehen stabile, wirtschaftliche Handelsbeziehungen.

Ökonomisch formuliert senkt in formellen und informellen Institutionen gewachsenes Vertrauen die Transaktionskosten; weniger technisch formuliert basiert unser Wohlstand auf in kleinen Gemeinschaften und Familien vermittelten Werten wie Eigenverantwortung, Fleiß, Offenheit, Ehrlichkeit, Empathie und Menschlichkeit sowie auf der Verlässlichkeit wesentlicher Institutionen wie dem Recht am eigenen Eigentum oder der Vertragsfreiheit.

Die drei Probleme interventionistischer Wirtschaftspolitik treten zunehmend gemeinsam auf und verstärken sich gegenseitig:

  • Anmaßung von Wissen: Der Staat scheitert daran, die „richtigen“ förderwürdigen Unternehmen, Technologien und Märkte der Zukunft auszuwählen.
  • Fehlanreize: Unternehmen und Politik konzentrieren sich stärker auf Förderprogramme als auf tragfähige Geschäftsmodelle bzw. auf gute wirtschaftliche Rahmenbedingungen.
  • Macht und Rent-Seeking: Dafür finden die falschen Unternehmen der Vergangenheit wie es Moritz Schularik treffen formulierte den Staat und werben dort um staatliche Hilfen.

Aber selbst wenn der Staat die richtigen Unternehmen finden würde, ist eine lenkende Industriepolitik ein Irrweg. Sie schafft wenige Gewinner, aber viele Verlierer. Der Kampf um staatliche Vorteile hemmt den eigentlichen Wettbewerb um Innovationen und sich selbst tragende Geschäftsmodelle. Selbst vermeintliche Gewinner staatlicher Förderung profitieren oft nur kurzfristig: Unternehmen, die auf Subventionen angewiesen sind, entwickeln keine nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit. Der Marktanreiz für notwendige Umstrukturierungen und Innovationen wird durch staatliche Unterstützung unterdrückt – mit regelmäßigem Scheitern als Folge.

Jede industriepolitische Intervention muss daher strenge Verhältnismäßigkeitskriterien erfüllen:

  • Zunächst muss klar sein, warum das Marktergebnis gesellschaftlich wichtige ökonomische und politische Ziele nicht erreicht.
  • Anschließend ist zu prüfen, wie die identifizierten Ziele möglichst marktkonform erreicht werden können. Erst wenn zum Beispiel zur Minderung kritischer Abhängigkeiten marktkonforme Lösungen wie der Aufbau neuer Lieferbeziehungen („diversifiziertes Friendshoring“) oder der Abschluss von Freihandelsverträgen nicht ausreichen, kommen tiefere Eingriffe wie Subventionen für einheimische Produktion, Vorgaben zur Lagerhaltung oder Handelsbarrieren in Betracht. Auch diese Maßnahmen sollten regelbasiert und frei von politischer Beliebigkeit sein.
  • Abschließend gilt es die Kosten, Allokationsverzerrungen, Mitnahmeeffekte und Fehlanreize der staatlichen Intervention dem möglichen Nutzen gegenüberzustellen. Diese Abwägung erhöht den Rechtfertigungsdruck für den Staat, wenn er in den Markt eingreifen will.

Die meisten staatlichen Eingriffe – etwa Einzelsubventionen, Rettungshilfen, Abwrackprämien, Vorgaben für die Energieeffizienz von Produkten und Gebäuden, grüne Leitmärkte, Kaufprämien für E-Autos oder Lade-Zuschüsse – bestehen diese Prüfung nicht. Ihre Begründungen sind zu schwach, sie ignorieren marktkonformere Alternativen oder verursachen zu hohe indirekte Kosten. Anders kann es bei CO2-Grenzausgleichsmechanismen oder der Förderung von vorwettbewerblicher Grundlagen- und Unternehmensforschung aussehen, die richtig ausgestaltet Anreiz- und Wissensprobleme lösen und den Strukturwandel unterstützen können. Langfristig ist die effektivste Industriepolitik eine marktwirtschaftlich orientierte Politik, die nicht einzelne Unternehmen bevorzugt, sondern die Rahmenbedingungen für alle – bestehende und zukünftige – Unternehmen verbessert. Dazu braucht es ein Leitbild für den Rahmen setzenden Staat, nicht für die innerhalb dieses Rahmens spontan entstehenden Märkte. Ziel ist eine Wettbewerbsordnung, die den Menschen Raum zum freiwilligen und wechselseitig vorteilhaften Tausch bietet, mit dem sie Arbeit, Wissen und Macht teilen.

Das klingt einfacher, als es ist. Neuer Raum zum marktwirtschaftlichen Tausch entsteht nur durch mutige Reformen in allen Feldern der Wirtschaftspolitik. Die Suche nach einem kleinsten gemeinsamen wirtschaftspolitischen Nenner reicht dazu nicht aus. Wahlkreisinteressen, Klientelprojekte, gut gemeinte Fehlanreize und interventionistische Wissensanmaßung müssen dem Vertrauen in marktwirtschaftliche Prozesse und einer erneuten Prinzipienfestigkeit weichen. Es braucht einen ordnungspolitischen Unkrautstecher mit langer Klinge, um an den strukturellen Ursachen der Wirtschaftsmisere anzusetzen. Mutige wirtschaftspolitische Reformen stärken gleichzeitig die Demokratie. Bürger, die selbstbestimmt und eigenverantwortlich ihren Wohlstand erwirtschaften, sind das wichtigste Korrektiv eines zur Überdehnung neigenden Staates.

Autor:
Dr. Nils Hesse

Dr. Nils Hesse ist Volkswirt und Politologe, lebt in den USA und arbeitet als freier Ordnungsökonom.

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