Gesucht: Eine Wettbewerbspolitik für das 21. Jahrhundert
Angesichts von Globalisierung, Digitalisierung und Automatisierung muss sich die deutsche und europäische Wettbewerbspolitik neu ausrichten. Was jetzt zu tun ist.
Unsere Wirtschaftstätigkeit unterliegt einer stetigen Dynamik, die auf die gesellschaftlichen, technischen und politischen Veränderungen zurückzuführen ist. Marktteilnehmer müssen ihre Unternehmens- und Geschäftsmodelle dabei möglichst agil an die gegebenen Entwicklungen anpassen, um weiterhin am Markt erfolgreich wirtschaften zu können.
Auch der Staat muss auf richtungslenkende Weise reagieren, um ein gesundes Wirtschaftssystem im Inland zu garantieren und so im globalen Wettbewerb mit anderen Staaten bestehen zu können. Deutschland und Europa sind hier im direkten Vergleich zu den USA und China rückständig. Die Dynamik, die außerhalb Europas in der digitalen Welt Einzug gehalten hat, lässt den alten Kontinent an seine Grenzen stoßen. Die Vorreiter der Industrialisierung sind zurückgefallen, fast alle größeren digitalen Innovationen kommen nicht aus einem europäischen Land.
Bei den rechtlichen wie gesellschaftlichen Rahmenbedingungen sind die Nachteile offensichtlich: Ein restriktives Datenschutzrecht, eine kaum digitalisierte und damit langsame Verwaltung sowie die Behäbigkeit bei der Schaffung der Rahmenbedingungen durch schnelles Internet in der Breite lassen Tag für Tag den Abstand zu China und den USA größer werden. Die Stärke des alten Kontinents, wirtschaftliche wie persönliche Freiheit zu ermöglichen sowie die Demokratie lebendig zu halten, rücken in den Hintergrund. Wie die Geschichte weitergeht, ist noch nicht klar.
Herausforderungen: Globalisierung, Digitalisierung und Automatisierung
Zuständigkeitswirrwarr sowie die Notwendigkeit, Abstimmungen zwischen Kommunen, Ländern und dem Bund zu erzielen, führen üblicherweise zu einer Einigung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner. Diese so erzielten Lösungen sind aber zumeist nicht zukunftsorientiert, geschweige denn innovativ und reichen im internationalen Wettbewerb nicht aus, um sich den globalen Herausforderungen zu stellen. Jeder politische, mühselig ausgehandelte Prozess führt damit zu Ergebnissen, die langfristig hemmend auf den Wirtschaftsstandort Deutschland wirken.
Die neue Wettbewerbspolitik im 21. Jahrhundert darf daher nicht mit Grundüberlegungen des 20. Jahrhunderts gedacht werden. Wer neue Entwicklungen und deren Herausforderungen aus der Perspektive der Konzepte und Lösungsmöglichkeiten der letzten Jahrhunderte beurteilt, wird gnadenlos scheitern. Gerade im Hinblick auf die der Disruption immanente Schnelligkeit der Marktveränderungen ist ein in der Vergangenheit weilender Wirtschaftsgeist der zwangsläufige Indikator eines dauerhaften Positionsverlustes.
Eine Wettbewerbspolitik des 21. Jahrhunderts muss sich auf die veränderten Rahmenbedingungen einlassen. Diese werden im Wesentlichen durch die Trias Globalisierung, Digitalisierung und Automatisierung geprägt. Das bedeutet in Kurzform, dass es klassischerweise nicht mehr um analoge, sondern um digitale Geschäftsmodelle geht, in denen Prozesse zunehmend standardisiert werden und eine Zusammenarbeit über regionale wie fachliche Grenzen hinaus die Regel bildet.
Besonders deutlich wird dies an der Digitalisierung. Der technische Fortschritt ermöglichte die weltweite Kommunikation und Vernetzung. Kulturelle Werte und geschäftliche Ideen können über das Internet und die sozialen Netzwerke verbreitet werden und potenzieren damit das Innovationsniveau. Heute leben wir in einer digital vernetzten Welt, in der transnationale Geschäftsmodelle die Regel und nicht die Ausnahme bilden.
Die aktuellen Global Player haben dabei das Potenzial frühzeitig erkannt und durch das Entwickeln neuer Technologien zur Bedürfnisbefriedigung für diesen Markt oder durch die Anpassung ihrer Geschäftsmodelle an bereits bestehende Technologien ertragssteigernd genutzt. Unternehmen, die diesen Trend verschlafen haben, tun sich heute je nach Branche sehr schwer oder sind bereits vom Markt gedrängt worden.
Die Diskussionen, die wir in der Bundesrepublik Deutschland zu dieser Thematik führen, und die konkreten Vorschläge, die bezugnehmend geäußert werden, wie etwa eine neue Industriepolitik einzuführen, weisen eine Gemeinsamkeit auf: Sie drehen sich immer wieder darum, dass bestimmte Konzerne durch staatliche Subventionen gefördert werden sollten. Dieser Weg kann und wird nicht erfolgreich sein. Warum? Weil unsere Antwort in der Bundesrepublik, in der sozialen Marktwirtschaft einer westlichen Gesellschaft, nur sein kann, dass wir mit freiheitlichen Werten, mit der Möglichkeit, Innovation frei zu denken, Konzepte zu entwickeln und diese in großartigen Firmen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen umzusetzen, bestehen können.
Freiheit am Markt soll die unabhängige Tätigkeit der Firmen schützen, meint jedoch nicht die Entbindung des Staates von jeglicher wirtschaftsformender Verantwortung. Wenngleich also eine staatliche Subventionierung zu weit gehen würde, ist der Ausbau eines neutralen infrastrukturellen Grundgerüsts durch den Staat durchaus gefordert. Die Zukunftsgerichtetheit und Marktrelevanz Deutschlands und Europas gilt es durch die Verwendung moderner Konzepte bei der legislativen Ausgestaltung einer der Digitalwirtschaft angepassten Marktstruktur zu beweisen. Wer stattdessen jedoch denkt, er könne es mit dem als Auslöser für die große Konkurrenz durch China am Digital Market wahrgenommenen Staatskapitalismus aufnehmen, indem er mit Milliardensummen deutsche und europäische Unternehmen fördert, die dann in einzelnen staatlich determinierten Branchen Erfolg haben sollen, der wird über kurz oder lang scheitern.
Es ist in einer sozialen Marktwirtschaft nicht die Aufgabe einer demokratisch legitimierten Regierung – und das war schon im 20. Jahrhundert so – , einzelne Branchen herauszufiltern und festzulegen, die später erfolgreich sein sollen. Es ist aber die Aufgabe des Staates, Rahmenbedingungen zu schaffen, die freie Bildung und Innovationsfähigkeit fördern. Erst wenn der Staat es verinnerlicht hat, dass es seine Aufgabe ist, umfassende infrastrukturelle wie regulatorische Rahmenbedingungen zu setzen, statt in einzelne Prozesse von Angebot und Nachfrage einzugreifen, er sich also nicht als der bessere Unternehmer begreift, kann es gelingen, dass es auch im 21. Jahrhundert möglich wird, den Wohlstand unserer Gesellschaft auszubauen.
Deutschland muss handeln
Der Wirtschaftsstandort Deutschland kann sich eine weitere Lethargie nicht leisten, will er mit der Geschwindigkeit der wirtschaftlichen Entwicklung im Internetsektor Schritt halten. Eine blühende Start-up-Szene ist für die Innovationsfähigkeit, die Schaffung qualifizierter Arbeitsplätze, die Generierung von Steuereinnahmen, die Bildung unternehmerischer Vermögen und somit für den langfristigen Wohlstand maßgeblich. Da die Geschäftsmodelle der digitalen Transformation häufig unabhängig von Ländergrenzen aufgebaut sind, müssen durch die Europäische Union im Sinne eines zukunftsfähigen europäischen Binnenmarkts einheitliche Regelungen geschaffen werden.
Scheitert die gesamteuropäische wie nationale Anpassung an den digitalen Strukturwandel, droht die Verdrängung nicht nur aus dem Markt durch US-amerikanische Wettbewerber aus dem Silicon Valley. Somit ist der Überlebensweg der etablierten Industrie gepflastert mit schmerzhaften Reformen und teuren Investitionen, die aber wichtig sind, um künftig im neuen Wettbewerbsumfeld zu bestehen.
Erst nach einem umfassenden Strukturwandel der europäischen Industrie und Wirtschaft sowie einem Umdenken im Sinne einer positiven Anerkennung der Digitalisierungspotenziale können wir auch unseren Kindern und Enkelkindern garantieren, in einer Gesellschaft aufzuwachsen, in der es möglich ist, durch eigene Leistungsbereitschaft und innovative Kreativität mehr zu leisten, mehr zu (er)schaffen und zu erreichen. Nur so können unsere freiheitlichen Werte langfristig wieder zu einem Exportmodell in der Welt und wir zu einem Gewinner im Wettbewerb um das beste staatliche System werden.
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Autor:
Prof. Dr. Martin Pätzold ist Leiter des Büros von Burkard Dregger, Fraktionsvorsitzender der CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus. Zusätzlich unterstützt er das Beratungsunternehmen Baker Tilly bei der Stiftungsarbeit. Pätzold war von 2013 bis 2017 Mitglied des Deutschen Bundestages.