Eine Rentenreform ist notwendig und sollte zügig angegangen werden
Wie kann die zu erwartende Finanzierungslücke in der gesetzlichen Rentenversicherung geschlossen werden? Es bleibt nur ein vernünftiger Weg, die Anhebung des Renteneintrittsalters, meint Prof Dr. Monika Schnitzer, die den Lehrstuhl für Komparative Wirtschaftsforschung an der Ludwig-Maximilians-Universität München innehat. Die Diskussion sollte jetzt in der Politik geführt werden, so die Ökonomin, die auch Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung ist. Ihr Argument: Die notwendigen Entscheidungen werden nicht angenehmer oder politisch leichter durchsetzbar, wenn man sie später trifft.
Als im März vergangenen Jahres die Rentenkommission der Bundesregierung nach zweijähriger Beratungszeit ihren Abschlussbericht vorlegte, war klar, dass es sich um einen Kompromissvorschlag handeln würde. Status quo zum Zeitpunkt der Übergabe des Berichts war ein Renteneintrittsalter, das bis 2031 schrittweise auf 67 Jahre erhöht wird, sowie die 2018 gesetzlich fixierte und bis 2025 festgeschriebene doppelte Haltelinie.
Doppelte Haltelinie, das heißt zum einen, der Beitragssatz darf 20 Prozent nicht überschreiten, zum andern, das Rentensicherungsniveau vor Steuern (Standardrente nach 45 Beitragsjahren im Verhältnis zum verfügbaren Durchschnittseinkommen) darf 48 Prozent nicht unterschreiten. Ausgehend von diesem Status quo empfahl die Kommission in ihrem Bericht, an der doppelten Haltelinie festzuhalten und von 2026 an neue verbindliche Haltelinien für jeweils sieben Jahre festzulegen, innerhalb eines Korridors von 44 bis 49 Prozent für das Rentenniveau und von 20 bis 24 Prozent für den Beitragssatz. 2026 soll auch überprüft werden, so die Empfehlung, ob eine Anpassung des Renteneintrittsalters von 67 Jahren ab 2031 erforderlich und vertretbar sein wird.
„Die steigenden Ausgaben werden künftig von den Rentenbeiträgen einer jüngeren Generation finanziert werden müssen.“
Im Klartext heißt das: Man hat die Diskussion über eine notwendige Anpassung der gesetzlichen Rentenversicherung ohne Not um weitere sieben Jahre hinausgeschoben. Obwohl bei steigendender Lebenserwartung jetzt schon klar ist: Hält man an der doppelten Haltelinie und dem festgelegten Renteneintrittsalter fest, dann wird die Rentenbezugsdauer künftig weiter ansteigen und damit auch die erforderlichen Ausgaben für die Rentenzahlungen.
Diese Ausgaben werden aber künftig von den Rentenbeiträgen einer jüngeren Generation finanziert werden müssen, die wegen einer geringen Geburtenrate trotz moderater Zuwanderung zahlenmäßig immer kleiner wird. Schon 2019 wurde die gesetzliche Rentenversicherung zu 23,7 Prozent durch Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt finanziert. Zuschüsse, die insgesamt 21,7 Prozent der Gesamtausgaben des Bundes ausmachen. Der Renteneintritt der geburtenstarken Jahrgänge steht bevor. Die Finanzierungslücke wird künftig also weiter steigen.
Wie kann diese Finanzierungslücke geschlossen werden? Eine Ausdehnung des Versichertenkreises der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV), wie von manchen Seiten immer wieder gefordert wird, stellt gesamtwirtschaftlich keine Lösung dar. Denn die neu in der GRV Versicherten würden nicht nur Beiträge zahlen, sondern auch Ansprüche erwerben. Eine solche Ausdehnung ändert nichts an der Tatsache, dass in Zukunft weniger Beitragszahlerinnen und -zahler für immer mehr Rentnerinnen und Rentner aufkommen müssen.
Will man den Anstieg der Beitragssätze begrenzen und eine Reduzierung des Rentenniveaus vermeiden, wie dies aktuell empfohlen wird, dann bleibt als dritte Stellschraube nur, das Renteneintrittsalter anzuheben. In seinem aktuellen Jahresgutachten schlägt der Sachverständigenrat deshalb vor, die ansteigende Lebenserwartung zu zwei Dritteln in eine längere Erwerbsphase und zu einem Drittel in eine längere Rentenphase aufzuteilen und so ab dem Jahr 2031 das Renteneintrittsalter schrittweise über 67 hinaus zu erhöhen. Eine solche Diskussion sollte jetzt geführt werden, nicht erst in einigen Jahren. Es gibt keine Unsicherheit über den Sachverhalt der demografischen Entwicklung, die ein Aufschieben der Diskussion rechtfertigen würde. Und die notwendigen Entscheidungen werden nicht angenehmer oder politisch leichter durchsetzbar, wenn man sie später trifft.
Eine Verlängerung der Erwerbsphase setzt aber zweierlei voraus. Erstens, dass die Beschäftigten dazu befähigt werden, länger zu arbeiten. Und zweitens, dass sie am Arbeitsmarkt überhaupt eine Chance auf Beschäftigung haben. Hier sind vor allem die Unternehmen gefordert. Der technologische Wandel bei gleichzeitig zunehmendem Fachkräftemangel zwingt die Unternehmen ohnehin, ihre Beschäftigten auf die veränderten Tätigkeiten und Anforderungsprofile vorzubereiten, die durch neue Technologien und zunehmende Digitalisierung bedingt sind. Diese Weiterqualifikation muss auch ältere Beschäftigte einbeziehen, zumal der technologische Fortschritt auch Chancen bietet, manche körperlich belastenden Tätigkeiten zu reduzieren und Arbeitsplätze altersgerecht auszugestalten. Bisher wurde der Strukturwandel oft dadurch bewältigt, dass man die älteren Beschäftigten in den Vorruhestand geschickt hat. Das ist verkehrt und sollte nicht auch noch staatlich unterstützt werden. Vielmehr müssen die Unternehmen angehalten werden, ihr Personal frühzeitig weiterzuqualifizieren.
Wenn eine Erwerbstätigkeit aufgrund von Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit nicht mehr möglich ist, müssen andere Wege gefunden werden. Möglichkeiten zur Umschulung auf neue Tätigkeiten, eine Absicherung über Erwerbsunfähigkeits- und Berufsunfähigkeitsversicherungen und eine adäquate Ausgestaltung der Erwerbsminderungsrente spielen eine wichtige Rolle, um die Beschäftigten gegen diese Risiken abzusichern.
Neben diesen auf die lange Frist abzielenden Reformen der gesetzlichen Rentenversicherung, die jetzt diskutiert und beschlossen werden sollten, gibt es auch unmittelbaren Handlungsbedarf. Kurzfristig ist dringlich, den Nachholfaktor wieder einzusetzen, der mit der 2018 verabschiedeten Rentenreform bis 2025 ausgesetzt wurde. Dieser Nachholfaktor kam bisher zur Anwendung, wenn es negative Lohnentwicklungen gab, wie in der Finanzkrise. Da die Renten, die an die Lohnentwicklung gekoppelt sind, zumindest nominal nicht sinken sollten, war vor der Rentenreform 2018 durch den Nachholfaktor sichergestellt, dass bei künftigen Rentenanpassungen die negative Lohnentwicklung verrechnet würde. In der aktuellen Krise ist unter anderem aufgrund der Kurzarbeit mit einer ähnlichen zeitweisen negativen Lohnentwicklung zu rechnen. Eine künftige Verrechnung ist aber durch die Aussetzung des Nachholfaktors unmöglich gemacht. Deshalb sollte diese Aussetzung schnellstmöglich aufgehoben werden.
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Autor:
Prof. Dr. Monika Schnitzer ist seit 1996 Inhaberin des Lehrstuhls für Komparative Wirtschaftsforschung an der Ludwig-Maximilians-Universität München und seit 2020 Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.