Der klimapolitische Königsweg

Die Probleme der derzeitigen kleinteiligen Transformationspolitik werden immer offensichtlicher: Sie ist zu teuer, nicht zielsicher, sozial ungerecht, zu dirigistisch und kaum über die Landesgrenze hinaus wirksam. Eine Klimapolitik, die konsequent auf das Leitinstrument Emissionshandel ausgerichtet ist, adressiert diese fünf Probleme. Klimapolitik wird effizienter, effektiver, gerechter, freiheitlicher und internationaler.

Die derzeitige Klimapolitik hat vor allem fünf Probleme:

  1. Sie ist zu teuer. Immense Kosten entstehen, weil Aktivisten, Politiker, Verbände und Wissenschaftler einzelne Technologien wie Windenergie, Elektromobilität oder Wärmepumpen vorantreiben wollen, ohne über den nationalen und sektoralen Tellerrand zu schauen. Die Frage, was CO2-Vermeidung wo kostet, wird oft gar nicht gestellt. Subventionen verdecken das Preissignal. Im Ergebnis wird dort besonders viel gefördert, wo die Emissionsvermeidung viel kostet. Laut dem Magdeburger Ökonom Joachim Weimann wurde zum Beispiel bis Ende 2022 jedes Elektroauto mit rund 20.000 Euro subventioniert, was Vermeidungskosten pro Tonne CO₂ von 2.000 bis 4.000 Euro entspricht.
  2. Sie ist nicht zielsicher. An Zielen mangelt es der deutschen und europäischen Klimapolitik nicht – wir haben hohe Ambitionen etwa beim Bau von Windrädern, Elektroautos oder Wärmepumpen. Viele Ziele werden aber bestenfalls zu Lasten anderer Ziele wie Wettbewerbsfähigkeit oder Finanzierbarkeit erreicht. Oft werden Emissionen nur verlagert, zum Beispiel
    • wenn wir weniger Rohöl nachfragen, der Ölpreis sinkt und der Rest der Welt mehr Öl nachfragt,
    • wenn wir energieintensive Industrien zu stark belasten und diese ihre Produktionsstätten ins Ausland verlagern,
    • wenn strenge Flottengrenzwerte und Subventionen für E-Mobilität zwar die Emissionen im deutschen Verkehrssektor senken, dafür aber die Emissionen in anderen Sektoren (v.a. Strom) und Ländern (Produktion, Rohstoffe, Batterien etc.) erhöhen, oder
    • wenn Länder weniger in die Emissionsvermeidung investieren, um sich gegenüber ambitionierten Vorreiternationen wie Deutschland Wettbewerbsvorteile zu sichern.
  3. Sie hat eine fragwürdige Verteilungswirkung. Die umfangreichen Förderprogramme für Gebäudesanierung, E-Mobilität oder die Dekarbonisierung der Industrie kommen bestimmten, eher wohlhabenden Einkommensgruppen und gut organisierten Wirtschaftszweigen zugute, während alle Energieverbraucher und Steuerzahler die Kosten tragen müssen.
  4. Sie ist zu kleinteilig, bevormundend und dirigistisch. Im derzeitigen klimapolitischen Werkzeugkasten stecken viele Verbote, Technologievorgaben, Sektorziele, Ausnahmen, Taxonomien, Quoten, Berichtspflichten, Subventionen und Grenzwerte. Die Maßnahmen sind nicht nur teuer, sondern auch freiheitseinschränkend. Viele Bürger wollen sich nicht vorschreiben lassen, wie sie zu reisen, zu heizen oder zu essen haben. Doch genau darum drehen sich viele öffentliche und private Klimadebatten. Fragen des persönlichen Lebensstils werden politisiert, Fragen der politischen Regelsetzung personalisiert.
  5. Sie findet weltweit zu wenig Nachahmer. Das derzeitige Pariser Klimaregime ist macht- und kraftlos, weil es auf unverbindlichen Willensbekundungen beruht und Trittbrettfahren attraktiv macht. Ungeachtet unserer Anstrengungen erreichten die weltweiten CO2-Emissionen 2023 ein neues Rekordhoch. Selbst wenn alle Länder ihre überwiegend unverbindlichen Ziele aus dem Pariser Abkommen erreichen würden (was sie nicht tun), wäre die Welt eher auf einem 2,5-Grad-Pfad als auf dem 1,5-Grad-Pfad. Deutschland wird mit seiner derzeitigen klimapolitischen Strategie daran wenig ändern.

Emissionshandel als Kern der Lösung

Um diesen Problemen zu begegnen, sollte der Emissionshandel ins Zentrum der Klimapolitik rücken, ergänzt durch eine kluge Rückverteilung, Grenzausgleichmechanismen, eine engagierte Klimadiplomatie und Investitionen in Grundlagenforschung und Infrastruktur. Der Emissionshandel ist ein weithin unterschätztes und missverstandenes Instrument, das in der EU und in anderen Teilen der Welt bereits sehr erfolgreich wirkt. Seit 2005 bepreist das Europäische Emissionshandelssystem (EU-ETS) Treibhausgas-Emissionen der europäischen Energiewirtschaft und Industrie ebenso wie seit 2012 des innereuropäischen Luftverkehrs. Das ETS erreicht eine politisch festgelegte, jährlich sinkende Emissionsobergrenze (CAP oder Mengendeckel) effektiv. Wer Treibhausgase ausstoßen will, muss eine entsprechende Menge an Emissionszertifikaten vorhalten. Nicht genutzte Emissionsrechte können frei gehandelt werden, so dass sich ein Preis für den Ausstoß von Treibhausgasen bildet. Durch die unsichtbare Hand der Preissignale sorgt der Emissionshandel dafür, dass Emissionen dort eingespart werden, wo dies zu den geringsten Kosten effizient möglich ist.

Eine Klimapolitik, die konsequent auf das Leitinstrument Emissionshandel ausgerichtet ist, adressiert die fünf Probleme der derzeitigen Klimapolitik:

  1. Geringere Kosten: Nach Berechnungen des Energy Modeling Forum (EMF) der Universität Stanford hat es die EU 2,2 Prozent des BIP gekostet, die Emissionen von 2008 bis 2020 um 20 Prozent zu senken. Hätte die EU nur auf einen Emissionshandel mit CO2-Preis gesetzt, wäre die Emissionsminderung für rund 1 Prozent des BIP zu haben gewesen. Andere Schätzungen gehen davon aus, dass Klimaschutz über das Instrument eines CO2-Preises weder Wachstum noch Arbeitsplätze kosten muss. Hätte in den letzten 20 Jahren allein der Preis bestimmt, wo wir Emissionen reduzieren, wären wir vielleicht schon längst aus der Kohle ausgestiegen. Ein hoher CO2-Preis macht CO2-intensive Technologien und Brennstoffe im Vergleich zu CO2-armen weniger attraktiv. Sie scheiden aus dem Markt aus, ohne dass es Entschädigungen für die Energiewirtschaft bedarf. Statt sich in Runden wie der Kohlekommission auf Kosten Dritter – der Steuerzahler – auf Ausstiegspfade zu einigen, würde der Markt für Emissionsrechte tatsächlich gesamtgesellschaftliche Kompromisse finden – denn in den Markt fließen das Wissen und die Präferenzen aller Bürger und Unternehmen ein („wisdom of the crowd“), und nicht nur die Präferenzen gut organisierter Interessen. Deutschland hätte ohne Kostentreiber wie die EEG-Umlage nicht die höchsten Strompreise der Welt und auch die Belastungen für den Staatshaushalt und damit für die Steuerzahler wären geringer.
  2. Politisch gesetzte Minderungsziele werden erreicht. Der Mengendeckel des Emissionshandels stellt sicher, dass die Emissionen in den vom Emissionshandel umfassten Ländern und Sektoren die politisch vorgegebenen Minderungsziele erreichen. Umso mehr Länder und Sektoren vom Emissionshandel erfasst werden, umso effizienter und effektiver wirkt der Emissionshandel, und umso weniger kommt es zu Nachteilen für die Wettbewerbsfähigkeit. Bereits die glaubwürdige Ankündigung einer CO2-Bepreisung und die Erwartung hoher Preise in der Zukunft lenken die Investition hin zu CO2-armen Technologien. Es ist besser, zukünftige Investitionen mit einem glaubwürdigen Reduktionspfad langfristig zu lenken, als bereits getätigte Investitionen in Autos, Häuser oder Maschinen durch aktionistische Sofortprogramme und ordnungsrechtliche Eingriffe zu entwerten.
  3. Eine gerechte Rückverteilung ist möglich. Steigt der CO2-Preis, wächst auch der Spielraum, die europäische Industrie und ärmere Haushalte zu entlasten. Statt wie bisher große Teile der Einnahmen aus dem Emissionshandel über Förderprogramme an Besitzer von PV-Anlagen, Wärmepumpen und Elektroautos umzuleiten, könnte ein aus den Einnahmen der Emissionszertifikate finanziertes Pro-Kopf-Energiegeld die zusätzlichen Energiekosten für einkommensschwache Haushalte überkompensieren. Gute Alternativen zum Klimageld sind Entlastungen über eine Senkung der Einkommenssteuer oder der Netzentgelte. Im internationalen Wettbewerb stehende Unternehmen könnten wie bisher Zertifikate zu einem günstigeren Preis erhalten, da der Ausgabepreis nicht über die klimapolitische Wirkung des Emissionshandels entscheidet.
  4. Klimapolitik von unten, nicht von oben. Die Deutschen könnten sich an ökologisch ehrlichen Preisen ausrichten, wenn Emissionen über Länder- und Branchengrenzen hinweg an allen Stellen der Wertschöpfungskette bepreist würden. Klimabewusste Verbraucher stünden nicht mehr vor der unlösbaren Aufgabe, die Auswirkungen ihrer Kaufentscheidungen auf den weltweiten CO2-Ausstoß abzuschätzen, gleichzeitig hätten klimaunbewusste Verbraucher nicht mehr die Möglichkeit, die mit ihren Entscheidungen verbundenen Umweltkosten auf die Allgemeinheit abzuwälzen. Die Verbraucher könnten selbst entscheiden, ob sie angesichts steigender Preise ihren Fleischkonsum reduzieren, weniger fliegen oder ihr Verbrenner-Auto überdenken, statt sich diese Entscheidungen vom Staat vorschreiben zu lassen. Sachlichere, transparentere und entpersonalisierte Debatten müssten sich nicht mehr um die Klimaneutralität von Städten, den Fluglärm, zum Selbstzweck erhobene Technologien und Untergangsszenarien drehen, sondern um den Reduktionspfad des Emissionshandels, die Höhe einer CO2-Kopfpauschale oder die Ausgestaltung eines Grenzausgleichsmechanismus.
  5. Globale Koordination wird verbindlicher. Emissionshandelssysteme in Kombination mit einem Grenzausgleichsmechanismus erhöhen die Anreize für andere Länder, ihrerseits CO2 zu bepreisen. Ein Grenzausgleich ist zwar eine bürokratische Herausforderung für alle Beteiligten, aber auf dem Weg zu einem globalen Emissionshandel und ehrlichen Preisen unverzichtbar. Zum einen gleicht er Wettbewerbsnachteile in Regionen mit hohen CO2-Preisen aus, solange noch nicht alle relevanten Länder einem Emissionshandelssystem beigetreten sind. Zum anderen werden Länder wie China oder Indien eher einem Emissionshandelssystem beitreten, wenn sie über die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung verfügen können, anstatt sie als Zölle an die Länder mit CO2-Bepreisung abzuführen. Sobald alle wesentlichen Länder CO2 bepreisen, bedarf es keiner Grenzausgleichabgabe mehr, sie schafft sich selbst ab.

Fazit

Auch der marktwirtschaftliche Weg zur globalen Klimaneutralität kostet Kraft, Mühe und Wohlstand, doch einen günstigeren, effektiveren und freiheitlicheren Weg gibt es nicht. Gefragt sind Ökonomen, die Politik und Bürger vom marktwirtschaftlichen Klimapfad überzeugen und Politiker, die für diesen Weg national Mehrheiten gewinnen und international Allianzen organisieren. Sobald die Preise ökologisch ehrlich sind, passen Verbraucher unabhängig von ihrer Einstellung zum Klimaschutz ihr Verhalten und ihre Produktion effizient an, entwickeln Ingenieure neue Technologien und setzen Unternehmer diese in neue Geschäftsmodelle um. Staatlicher Dirigismus und immer mehr Vorgaben werden überflüssig. Wenn wir uns konsequent für den Weg der Klimamarktwirtschaft entscheiden, dann sollten wir ebenso konsequent den Weg der Klimaplanwirtschaft verlassen. Verfolgen wir beide Wege gemeinsam, addieren sich nur die Kosten der jeweiligen Wege, nicht aber ihr Nutzen.

Literatur

Enninga, Justus und Ryan M. Yonk (2023): Achieving Ecological Reflexivity: The Limits of Deliberation and the Alternative of Free-Market-Environmentalism. Sustainability 2023, 15(8).

Frondel, Manuel (2019): Besser als eine CO2-Steuer: Opt-in in den Emissionshandel. INSM-Ökonomenblog.

Metcalf, Gilvert E. (2023): Five Myths About Carbon Pricing. NBER Working Paper 31104.

Quitzau, Jörn (2023): Effizienter Klimaschutz. Nicht mit dem Kopf durch die Wand. Wirtschaftliche Freiheit. Das ordnungspolitische Journal vom 13. April 2023.

Weimann, Joachim (2022): Leitlinien einer neuen Klimapolitik. Denkfabrik R-21.

Autor:

Dr. Nils Hesse ist Volkswirt und Politologe, lebt in Berlin und arbeitet als freier Ordnungsökonom.

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