Coronakrise: Globalisierung ist Teil der Lösung und nicht des Problems

Ein Abgesang auf die wirtschaftliche Globalisierung angesichts der Coronakrise wäre falsch. Denn sie ist nicht primäre Ursache der Krise. Vielmehr ist sie Teil der Lösung. Dennoch wird die Krise die internationale Arbeitsteilung verändern.

Ist die Globalisierung Ursache der Coronakrise? Viele
Globalisierungskritiker sehen sich angesichts der globalen Pandemie in ihrem
Urteil bestätigt, wonach die weltweite Arbeitsteilung und Vernetzung Probleme
schafft und verschärft, die bei einer stärker national oder regional
orientierten Wirtschaftsordnung nicht aufträten. Wir sehen schon alarmierende
Schritte der Politik in diese Richtung. Doch wer die derzeitige Krise nutzen
will, um internationale Produktionsketten, globalen Wettbewerb und freien
Handel zurückzufahren, wird die Krise eher noch verschärfen. Wir sollten uns allerdings
darauf einstellen, dass sich einige Gesetzmäßigkeiten globaler Wirtschaftsprozesse
durch die Krise verändern.

Sicher, die Coronakrise ist global, und die schnelle Ausbreitung des Virus ist durch unsere internationale Vernetzung befördert worden. Doch zwei wesentliche Säulen der internationalen Arbeitsteilung – der globale Güterhandel und der Kapitalverkehr – sind nicht ursächlich für die Verbreitung des Virus. Vielmehr ist es die internationale Mobilität von Personen – Touristen, Geschäftsreisende, Migranten, – die den Virus regional verbreiten.

Derzeit ist die Volatilität auf den internationalen Kapitalmärkten sehr hoch. Das setzt vor allem schwächeren Ländern zu. Diese Verwerfungen sind Symptom, nicht Ursache der Krise. Anders als frühere Wirtschaftskrisen hat die gegenwärtige Krise ihre Ursache nicht in Fehlentwicklungen im Finanzsektor, sondern in einer massiven Einschränkung der Transaktionen auf vielen Güter- und Dienstleistungsmärkten durch die Auflagen von Regierungen. Dass wir in einer solchen Situation internationale Kapitalmärkte haben, trägt dazu bei, vorhandene Liquidität über die Welt zu verteilen. Gerade in Krisenzeiten müssen Länder international Geld leihen können. Die Globalisierung der Finanzmärkte jetzt zurückzufahren würde die Krise gerade in anfälligeren Ländern verschärfen.

Es ist die Mobilität von Personen, die die Ausbreitung des SARS-Coranavirus-2 innerhalb weniger Wochen über die ganze Welt verursacht hat. Entsprechend gibt es hier die massivsten Einschränkungen mit entsprechenden Folgen für Fluggesellschaften, Tourismusanbieter und alle anderen Unternehmen, die am Reisegeschäft hängen. Wir werden uns darauf einstellen müssen, dass viele Länder noch monatelang strenge Auflagen für die Einreise aufrechterhalten werden. Und es dürfte auch langfristig ein Umdenken geben: Gesundheitskontrollen an Grenzen werden zum Standard, und im Fall von Epidemien werden Reisebeschränkungen schneller hochgefahren. Der neue Coronavirus ist ein weltweiter Weckruf in dieser Hinsicht. Solche Kontrollen sind zu rechtfertigen und können vertrauensbildend wirken. Wichtig wären aber ein international abgestimmtes Vorgehen, globaler Informationsaustausch und eine Einigung auf gleiche Standards – etwas auf G20-Ebene. Politiker und Medien sollten sich extrem zurückhalten mit Schuldzuweisungen und dem Schüren von Furcht vor Fremden.

Die EU hat in der Coronakrise mit Blick auf den Personenverkehr bisher kein gutes Bild abgegeben. Dass schnell die Schlagbäume an den Grenzen fielen, hat der Ausbreitung des Virus kaum Einhalt geboten, dafür aber den Waren- und Personenverkehr massiv beeinträchtigt. Das Vertrauen in die Offenheit des Schengen-Raums hat ein weiteres Mal Schaden genommen. Dieses Vertrauen ist aber wichtig für die wirtschaftliche und soziale Integration der EU und letztlich auch für unseren Wohlstand. Europa sollte über Gesundheitschecks an den Grenzen neu nachdenken, aber bitte an den Schengen-Außengrenzen und nicht innerhalb dieses Raums.

Im Güterhandel sehen sich nun Kritiker bestätigt, die vor einer zu starken Verlagerung von Produktion in andere Länder gewarnt haben. Nun seien etwa wichtige Güter wie Atemschutzmasken oder Medikamente in Deutschland nicht mehr ausreichend verfügbar. Das stimmt zwar, hat aber seine Gründe nicht in der Globalisierung, sondern in falscher Gesundheitspolitik. Der Güterhandel macht robuster gegen Krisen, nicht anfälliger. Die Forschung zu den Effekten von Naturkatastrophen zeigt ganz klar: Die internationale Diversifikation der Produktion sorgt dafür, dass bei einer Krise in einer Region andere Regionen einspringen und weiter benötigte Güter liefern. Ganz abgesehen davon: Deutschland hat 2019 Pharmaprodukte und Medizintechnik im Ausmaß von 90 Milliarden Euro exportiert und im Ausmaß von 56 Milliarden Euro importiert. Es ist in diesem Bereich der größte Nettoexporteur der Welt und wäre damit auch der größte Verlierer einer Renationalisierung der Medizinmärkte.

Klar ist: Damit Lieferketten robust sein können, müssen die Lieferketten diversifiziert sein. Die Krise zeigt, von einem einzigen Lieferanten oder einem einzigen anderen Land abhängig zu sein macht verletzlich. Insofern ist die Coronakrise der „Lehman-Moment“ für viele international vernetzte Produzenten: Vertrauen in das Funktionieren der internationalen Lieferketten ist erschüttert, bisherige Gewissheiten gelten nicht mehr. Nach der Lehman-Krise haben Unternehmen ihre Abhängigkeit von Banken und Kreditmärkten reduziert; jetzt werden sie, ganz aus eigenem Antrieb, ihre Lieferketten überdenken, um sie robuster zu machen; nicht zwingend kürzer oder deutscher. Sie werden seltener auf einen einzigen Lieferanten setzen, sie werden größere Lager halten, und sie werden noch mehr in die Digitalisierung der Logistik investieren. Handelspolitische Vorschriften durch den Staat brauchen sie dafür nicht.

Die Krise verstärkt eine Tendenz, die es ohnehin schon gab: Produktionsnetzwerke stärker an den großen Absatzmärkten auszurichten. Dazu hat unter anderem ein wieder um sich greifender Protektionismus beigetragen – allen voran von Seiten der USA –, der es für Unternehmen sinnvoll macht, möglichst in den großen Absatzmärkten zu produzieren. Digitalisierung und Robotisierung erleichtern die Produktion an mehreren Standorten.

Wie kontraproduktiv ein Ausbremsen der Globalisierung in Krisen wie der gegenwärtigen sein kann, zeigt sich gerade an den medizinischen Produkten. Handelsbeschränkungen wie Ausfuhrverbote und entsprechende Gegenmaßnahmen führen dazu, dass die Produkte nicht mehr dort produziert werden, wo es am effizientesten und damit auch am schnellsten möglich ist. Es kommt zu Verwerfungen, Schwarzmärkten und Mondpreisen in den Absatzmärkten. Zölle und Handelsbarrieren auf medizinische Produkte sind absolut kontraproduktiv, sie kosten potenziell Menschenleben. Wir sehen das derzeit auch im Iran, der mit einer hohen Covid-19-Verbreitung eine Tragödie erlebt, die noch weit über jene in den europäischen Staaten hinausgeht. Das Embargo gegen den Iran sollte aus humanitären Gründen gelockert werden.

Die Coronakrise ist ein Schock für die Globalisierung, voraussichtlich ein in mancherlei Hinsicht heilsamer. Es darf jetzt nicht darum gehen, die Globalisierung zurückzufahren, sondern es gilt, ihre Kräfte zu nutzen, um unser globales Wirtschaftssystem widerstandsfähiger zu machen.

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Autor:

Prof. Gabriel Felbermayr ist seit März 2019 Präsident des Instituts für Weltwirtschaft. Gleichzeitig hat er eine Professur für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Wirtschaftspolitik, an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel inne.

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