Corona-Krise: Sozialstaat hat sich bewährt

Neueste Studien zeigen, wie sich das Markteinkommen der deutschen Bevölkerung durch die Folgen der Pandemiebekämpfung verändert hat. Es deutet sich an, dass das Eingreifen des Sozialstaats über Steuer- und Transfer-Systeme sowie zusätzliche finanzielle Hilfen auch im Jahr 2020 funktioniert hat.  

Mit zunehmenden Covid-19-Infektionszahlen beschloss die Bundesregierung im März 2020 zahlreiche Beschränkungen des öffentlichen und privaten Lebens, um eine unkontrollierte Ausbreitung des Virus und damit eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern. Damit griff sie zum Teil erheblich in Grundrechte ein, so auch in die unternehmerische Freiheit. Läden mussten zwangsweise ihre Geschäfte einstellen, Grenzen wurden vorübergehend geschlossen, sodass Liefer- und Produktionsketten unterbrochen waren.

In der Folge mussten viele Beschäftigte in Kurzarbeit geschickt werden – im April waren es etwas weniger als sechs Millionen. Nach Hochrechnungen der Bundesagentur für Arbeit ging diese Rekordinanspruchnahme bis November 2020 zurück auf immer noch etwas mehr als zweieinhalb Millionen. Ohne Frage waren die krisenbedingten Einschränkungen mit erheblichen Einkommenseinbußen für viele abhängig Beschäftigte und selbstständige Unternehmer verbunden. Die Frage aber ist, ob die Verwerfungen auf den Märkten auch zu entsprechenden Brüchen bei den Haushaltsnettoeinkommen geführt haben.

„Mit der hoffentlich baldigen Rückkehr zu einer neuen Normalität sind die in der Krise wirksamen Hilfsmaßnahmen auf den Prüfstand zu stellen.“

Die Bundesregierung hat bereits Ende März 2020 umfangreiche Hilfspakete verabschiedet und in der Folge erweitert beziehungsweise verlängert. Neben Überbrückungshilfen für Selbstständige und zinsfreien Notkrediten wurde der Zugang zur Kurzarbeit vereinfacht und später so ausgestaltet, dass sich mit zunehmender Dauer das Kurzarbeitergeld stufenweise auf bis zu 80 Prozent für Singles und 87 Prozent für Arbeitnehmer mit Kindern erhöht.

Ebenfalls wurde der Zugang zur Grundsicherung für Erwerbssuchende vereinfacht, indem die Vermögensprüfung befristet ausgesetzt und bestehende Miet- und Heizkostenzahlungen ohne Prüfung der Angemessenheit vorerst übernommen werden.

Zudem erhielten Familien im September und Oktober 2020 mit dem Kindergeld einen Bonus in Höhe von insgesamt 300 Euro pro Kind, die weder auf Grundsicherungsleistungen noch auf Wohngeld, Kinderzuschlag oder Unterhaltsvorschüsse angerechnet wurden. Aufgrund des unveränderten Kinderfreibetrags kam dieser Bonus vor allem unteren und mittleren Einkommensgruppen zugute.

Die Hilfen erscheinen auch deshalb geboten, weil die pandemiebedingt notwendigen Einschränkungen der Freiheitsrechte in der Verantwortung des Staates lagen und liegen. Umso mehr stellt sich die Frage nach der Effektivität und Effizienz.

Was die Empirie weiß

Eine empirische Evaluation erweist sich aber als ausgesprochen herausfordernd, weisen amtliche Quellen und Haushaltsdatensätze in der Regel doch einen großen zeitlichen Abstand zum aktuellen Geschehen auf.

So wissen wir zwar aus amtlichen Statistiken zum Arbeitsmarkt, wie sich die Zahl der angemeldeten und realisierten Kurzarbeit entwickelt hat und welche Branchen stärker betroffen sind als andere. Jedoch wissen wir zum Beispiel nicht, in welchem Haushaltskontext diese Menschen leben, wie hoch die tatsächlichen Einkommensverluste sind oder ob dieselben Personen dauerhaft von Kurzarbeit betroffen sind. Noch weniger ist über die finanzielle Situation der Selbstständigen bekannt, deren Betriebe teilweise schließen mussten, geschweige denn wer und, wenn ja, in welchem Umfang drohende Verluste zum Beispiel über digitale Angebote (teil-)kompensieren konnte.

Bisher liefern nur wenige Studien erste Ergebnisse zu der unterschiedlichen Betroffenheit der Personen und Haushalte in Deutschland und fokussieren vor allem die Auswirkungen auf die erwerbstätige Bevölkerung in der ersten Phase der Pandemie. Seit Dezember letzten Jahres liegen aber zwei Mikrosimulationsstudien – zunächst vom IW, gefolgt von IAB/ifo – vor, die die Veränderungen der Einkommensverteilung für die gesamte Bevölkerung im Jahr 2020 untersuchen: Dass die Markteinkommen stark und unterschiedlich betroffen sind, entspricht nicht nur der ersten Intuition, sondern wird auch durch beide Analysen bestätigt. Selbstständige und geringfügig Beschäftigte sind von Veränderungen der Markteinkommen am stärksten betroffen.

Markteinkommen heißt aber auch, bevor der Sozialstaat über das Steuer- und Transfer-System und durch zusätzliche finanzielle Hilfen in die Einkommensverteilung eingreift. So fällt nach den Berechnungen des IW das Markteinkommen im Durchschnitt um 6 Prozent geringer aus, während die verfügbaren Haushaltseinkommen lediglich um 0,7 Prozent gesunken sind.[1] Mehr noch werden die Verluste der unteren Einkommensgruppen überproportional stark kompensiert.

Das heißt umgekehrt, dass die relativen Verluste an verfügbarem Einkommen in der oberen Hälfte der Einkommensverteilung am größten ausfallen. Eine Erklärung dafür ist, dass nicht nur das Arbeits-, sondern auch das Kapitaleinkommen in der Krise geschrumpft ist, und davon waren die Haushalte am oberen Ende der Verteilung häufiger betroffen.

Die IW-Simulationsstudie geht allerdings davon aus, dass staatliche Hilfen wie die Grundsicherung, das Wohngeld oder der Kinderzuschlag von allen Berechtigten in Anspruch genommen werden. In Kombination mit Erhöhungen beim Wohngeld und dem Kinderfreibetrag für Alleinerziehende kommt die Simulation deshalb sogar zu leichten nominalen Nettoeinkommensgewinnen für die unteren 20 Prozent der Verteilung. Diese Ergebnisse sind sicherlich mit Vorsicht zu interpretieren, da nicht alle Hilfeberechtigten auf die staatlichen Angebote zurückgreifen – sei es mangels Informationen, aus Stolz oder sozialer Scham.

Berücksichtigt man diesen Umstand, wie in der Studie von IAB und ifo geschehen, bleiben die nominalen Einkommenszuwächse der unteren Gruppen dennoch bestehen, wenngleich sie etwas geringer ausfallen.[2] Der Vergleich zeigt zudem, dass die verfügbaren Einkommen der Mitte und des oberen Endes der Verteilung etwas stärker zurückgehen, wenn ebenfalls die krisenbedingten Veränderungen in den Kapitaleinkommen berücksichtigt werden.

Auch der Kinderbonus hat erheblich zur Einkommensstabilisierung der unteren und mittleren Nettoeinkommensgruppen beigetragen und per Konstruktion einen Beitrag zur Angleichung der Nettoeinkommen geleistet, da Haushalte am oberen Ende der Verteilung vom Kinderbonus nicht profitierten. Denn der unverändert hohe Kinderfreibetrag führt dazu, dass der ausgezahlte Bonus bei ihnen unter dem Strich durch eine höhere Steuerschuld kompensiert wird.

Eine Kurzexpertise des ifo Instituts bezüglich der Verteilungswirkungen des Kinderbonus im Auftrag des Bundesministeriums der Finanzen bestätigt den Befund, dass der Kinderbonus tendenziell die Ungleichheit in den Nettoeinkommen reduziert und auch zu einer Verringerung der Niedrigeinkommensquote unter Kindern führt.[3] Auch das Kurzarbeitergeld hat das verfügbare Einkommen der betroffenen Haushalte stabilisiert und eine Ungleichheit reduzierende Wirkung gezeigt. Allerdings spielt es für die Einkommenssicherung der erwerbstätigen Einkommensmitte eine größere Rolle, da hier die Erwerbsquote höher ausfällt als in den unteren Einkommensgruppen und auch der Anteil des Arbeitseinkommens am gesamten Haushaltsnettoeinkommen größer ist.

Fazit

Wenngleich die Ergebnisse aufgrund der Datenlage mit Vorsicht zu betrachten sind, so stellen sie doch die bislang beste Annäherung an die Realität dar. Sie zeigen eindrucksvoll auf, dass die Auswirkungen der Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung nicht per se zu einem Anstieg der Ungleichheit führen. Vielmehr haben der Sozialstaat mit seinen Umverteilungsinstrumenten und die Krisenpolitik der Bundesregierung zu einer Stabilisierung der Nettoeinkommensverteilung geführt – genau so, wie es die Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft vorsieht. Mit der hoffentlich baldigen Rückkehr zu einer neuen Normalität sind dann aber die in der Krise wirksamen Hilfsmaßnahmen auf den Prüfstand zu stellen. Anderenfalls droht das Kind mit dem Bade ausgeschüttet zu werden, weil die Hilfen mit besonderen Notlagen begründet wurden, nicht aber mit grundlegend abweichenden Verteilungspräferenzen.

[1] Beznoska, Martin / Niehues, Judith / Stockhausen, Maximilian 2020: Stabil durch die Krise? Verteilungsfolgen der Corona-Pandemie – eine Mikrosimulationsanalyse, IW-Report, Nr. 65, Köln, Staatseingriffe verhindern steigende Ungleichheit | Institut der deutschen Wirtschaft (iwkoeln.de)

[2] Bruckmeier, Kerstin / Peichl, Andreas / Popp, Martin / Wiemers, Jürgen / Wollmershäuser, Timo (2020): Covid-19-Krise: Für das Jahr 2020 ist mit keinem Anstieg der Einkommensungleichheit in Deutschland zu rechnen, in: IAB-Forum 10. Dezember 2020, https://www.iab-forum.de/covid-19-krise-fuer-das-jahr-2020-ist-mit-keinem-anstieg-der-einkommensungleichheit-in-deutschland-zu-rechnen/, Abrufdatum: 11. Februar 2021

[3] Blömer, Maximilian / Brandt, Przemyslaw / Mosler Martin / Peichl, Andreas (2021): Verteilungswirkungen des Kinderbonus und der temporären Mehrwertsteuersenkung im Jahr 2020, in: ifo Schnelldienst, Jg. 74, Nr. 02, S. 45-50

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Autor:

Dr. Maximilian Stockhausen Dr. Maximilian Stockhausen ist Economist mit dem Schwerpunkt Verteilung. Er ist am Institut der Deutschen Wirtschaft tätig.

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