Aus PISA die richtigen Lehren ziehen
Die PISA-2022-Untersuchung zeigt, dass sich die Kompetenzen der Jugendlichen in Mathematik, Naturwissenschaften und Lesen gegenüber der letzten Erhebung aus 2018 deutlich verschlechtert haben. Die Bildungsarmut und die Ungleichheit der Bildungschancen verschärfen sich. Damit bestätigen sich auch die Ergebnisse der letzten IQB-Studie, die aber immerhin eine Verbesserung in den Englisch-Kompetenzen zeigen konnte. PISA verdeutlicht, dass sich die Probleme, auf die der letzte INSM-Bildungsmonitor schon hinwies, weiter verschärft haben. Umso dringender sind endlich gezielte Maßnahmen für bessere Bildungschancen in Deutschland umzusetzen.
Der INSM-Bildungsmonitor, den das Institut der deutschen Wirtschaft erstellt, misst seit dem Jahr 2004, in welchen Handlungsfeldern der Bildungspolitik Fortschritte erzielt werden konnten. Vom Monitor 2013 bis 2023 treten im Durchschnitt der Handlungsfelder Verschlechterungen auf. Während es in den Handlungsfeldern Internationalisierung (+20,5 Punkte), Förderinfrastruktur (+18,4 Punkte) und Betreuungsbedingungen (+17,1 Punkte) in diesem Zeitraum Fortschritte gibt, haben sich insbesondere die Ergebnisse in den Handlungsfeldern Integration/Bildungschancen (-38,8 Punkte), Schulqualität (-28,2 Punkte) und Bildungsarmut (-17,5 Punkte) sehr stark verschlechtert. Die PISA-Studie zeigt nun, dass die Ergebnisse in den Bereichen Integration/Bildungschancen, Schulqualität und Bildungsarmut noch einmal gesunken sind.
Umso dringender ist eine Zeitenwende in der Bildungspolitik, deren Maßnahmen im INSM-Bildungsmonitor 2023 beschrieben wurden und vor allem Ungleichheiten reduzieren und Bildungsqualität verbessern kann:
- Frühkindliche Bildung ausbauen: Ein Ausbau frühkindlicher Bildung, insbesondere im Bereich der Sprachförderung, soll dazu beitragen, Ungleichheiten vor dem Eintritt in die Grundschule abzubauen. Aus den vom Bund geförderten Sprach-Kita-Programmen sollten bundesweit dauerhafte Maßnahmen abgeleitet werden.
- Schulautonomie stärken: Schulen sollen mehr Eigenständigkeit erhalten, um individuelle Lösungen für ihre Schülerinnen und Schüler zu entwickeln, eine entsprechende Schulkultur zu entwickeln und das Engagement der Lehrkräfte zu nutzen.
- Deutschlandweite jährliche Vergleichsarbeiten: Durch regelmäßige Vergleichstests an allen Schulen und Jahrgängen sollte verbunden mit entsprechenden Unterstützungssystemen für Schulen ein Ideen- und Qualitätswettbewerb entfacht werden, um gezielt individuelle Förderungsmöglichkeiten zu entwickeln. Die Programme zur Schließung der coronabedingten Lernlücken sollten mittels der Vergleichsarbeiten evaluiert und darauf aufbauend weiterentwickelt werden.
- Gezielte Investitionen: Schulen mit besonderen Herausforderungen, wie einem hohen Anteil an Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund, sollen auf Basis eines Sozialindex finanziell zusätzlich unterstützt werden.
- Leseförderung „Tutoring for all“: Eine gezielte Leseförderung soll bereits im frühen Alter beginnen, um die Grundlagen für erfolgreiche Bildung zu legen. Erfolgreiche Tutoring-Programme aus England könnten als Vorbild dienen.
Daneben sind Lehrkräfte zu stärken:
- Angebot an Lehrkräften sichern: Um genügend Lehrkräfte zu gewinnen, sollen alternative Wege wie Quer- und Seiteneinsteigerinnen und -einsteiger ausgeweitet und qualitativ gestärkt werden, insbesondere im MINT-Bereich. Die Möglichkeit der Einstellung von Ein-Fach-Lehrkräften sollte in Betracht gezogen werden.
- Zielorientierte Zulagen: Schulen mit einem hohen Anteil von Kindern in Risikolagen sollen finanzielle Anreize setzen können, um Lehrkräfte zu gewinnen und langfristig zu binden. Leistungsorientierte Zulagen könnten die Unterrichtsqualität fördern.
- Weiterbildung in Digitalisierung und Umgang mit Heterogenität: Digitales Lernen soll in der Lehrkräftebildung verankert werden, und Fort- und Weiterbildungen in digitaler Technologie sollen verbindlich umgesetzt werden. Lehrkräfte sollen ausreichend Zeit und Unterstützung für die Entwicklung und Integration digitaler Lehr- und Lernkonzepte erhalten.
- Multiprofessionelle Teams: Lehrkräfte sollen durch den Ausbau multiprofessioneller Teams unterstützt werden, beispielsweise durch Schulsozialarbeiterinnen und -arbeiter, Psychologinnen und Psychologen sowie IT-Fachkräfte. Diese sollen als Ansprechpersonen dienen und die individuellen Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler besser berücksichtigen. Die zunehmende Bedeutung digitaler Bildung erfordert auch mehr IT-Expertinnen und -experten an Schulen – es werden rund 20.000 zusätzliche IT-Stellen an Schulen zur Unterstützung der Lehrkräfte benötigt.
Ferner sind Eltern besser zu unterstützen:
- Ausbau einer hochwertigen Ganztagsinfrastruktur: Die Ganztagsbetreuung für Kinder sollte ausgebaut werden, vor allem im frühkindlichen Bereich und in Grundschulen. Die Angebote sollten eine hohe Qualität aufweisen und gezielt auf die individuellen Bedarfe der Kinder, insbesondere bei der Sprachförderung, ausgerichtet sein.
- Familienzentren an Kitas und Schulen: Durch den Ausbau der Ganztagseinrichtungen zu Familienzentren sollen Familien in schwierigen Lebenslagen niedrigschwellige Unterstützungsmöglichkeiten finden. Diese Zentren können dazu beitragen, herkunftsbedingte Ungleichheiten abzubauen und die Durchlässigkeit im Bildungssystem zu erhöhen.
- Mentoring- und Nachhilfe-Programme: Staatlich geförderte Mentoring- und Nachhilfe-Programme sollen ausgebaut werden, um eine gezielte Unterstützung für Schülerinnen und Schüler zu ermöglichen. Solche Programme können durch die Einbeziehung von Studierenden kostengünstig sein und den Bildungserfolg von Kindern aus bildungsfernen Haushalten effizient verbessern.
- Verantwortungspartnerschaften: Durch eine partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen Eltern und Bildungseinrichtungen sollen die individuellen Förderbedarfe der Kinder besser herausgearbeitet, familiäre Lebensbedingungen berücksichtigt und Eltern in schulische Fortschritte eingebunden werden.
Aktuell fehlen bereits heute nach Berechnungen des IW rund 300.000 U3-Kitaplätze und 529.000 Ganztagsplätze für Grundschülerinnen und Grundschüler. Bis 2030 fehlen bei gegebenen Schüler-Lehrkräfte-Relationen voraussichtlich rund 80.000 Lehrkräfte. Eine Zeitenwende in der Bildungspolitik ist dringend nötig.
Autor:
Prof. Dr. Axel Plünnecke ist stellvertretender Leiter des Wissenschaftsbereichs Bildungspolitik und Arbeitsmarktpolitik und Leiter des Kompetenzfelds Humankapital und Innovationen beim Institut der deutschen Wirtschaft.