Aufruf für mehr schöpferische Zerstörung

Ist die deutsche Realwirtschaft wirklich so gesund, wie viele Politiker uns glauben lassen? Der Autor Alexander Horn meint: „Nein!“ Im Gegenteil. Sie ist sogar kränker, als wir glauben. Sein Vorschlag: Statt ständig nur auf Stabilisierung und kurzsichtige Rettung der Wirtschaft zu setzen, sollte der Staat disruptive Veränderungen begünstigen und sozial abfedern.

Als
Zombies werden tote Menschen bezeichnet, die wieder zum Leben erweckt worden
sind. Sie haben ihre Seele verloren, können nicht sprechen, haben keine Gefühle
mehr, spüren keinen Schmerz. Und sie sind willenlos. In der Zombiewirtschaft hingegen sind nicht Menschen,
sondern Unternehmen die Scheintoten. Was sie vor allem auszeichnet, ist, dass
sie es nicht mehr schaffen, einen Beitrag zur Steigerung der
Arbeitsproduktivität zu leisten – und damit zur Entwicklung des
gesellschaftlichen Wohlstands.

Geht es nach Alexander Horn, Autor des jetzt erschienenen Buches „Die Zombiewirtschaft – warum die Politik Innovation behindert und die Unternehmen in Deutschland zu Wohlstandsbremsen geworden sind“, sollten diese Unternehmen nicht weiter ihr Dasein als Untote fristen, sondern schnellstmöglich vom Markt verschwinden. Dass diese immer nur knapp an der Gewinnschwelle operierenden Unternehmen überhaupt überleben können, ist der Politik und damit bestimmten Rahmenbedingungen zu verdanken, zum Beispiel den niedrigen Zinsen. Die Unternehmen sind gerade noch in der Lage, das Geld für die herabgesetzten Zinszahlungen zu erwirtschaften. Mehr aber auch nicht. Für Expansionen oder technische Innovationen bleibt nichts übrig. Die Unternehmen werden – wie es das Manager-Magazin launig formuliert – von den „Banken am Leben erhalten, weil sie selbst die Abschreibungen nicht verkraften können. Zombie-Banken und Zombie-Unternehmen stützen sich wie zwei Betrunkene gegenseitig“.

Eine fatale Situation, meint Horn. Denn Unternehmen, die finanzschwach und nicht profitabel sind, werden kaum in der Lage sein, die für die technologischen Durchbrüche erforderlichen Investitionen zu stemmen. Sie schwächen sogar ihre Mitbewerber, indem sie Ressourcen wie etwa Fremdkapital oder Fachkräfte binden, die diese produktiver einsetzen könnten.

Zombiefirmen verhindern Wohlstand für alle

Das ist ein ziemliches Pfund, das der Wirtschaftsingenieur und Publizist Alexander Horn mit seinen beiden Co-Autoren, Phil Mullan und Michael von Prollius, in die Waagschale der Markterneuerung wirft. Und auch ein ziemlich verzweifelter Hilferuf. Denn die Autoren fürchten um den in der Sozialen Marktwirtschaft versprochenen „Wohlstand für alle“. Horn analysiert in seinem rund 370 Seiten starken Buch die Ursachen sinkender Arbeitsproduktivität, die politischen Wurzeln der Zombiewirtschaft („Angst vor disruptiven Entwicklungen und wirtschaftlichen Krisen“) und ihre Überwindung. In der wissenschaftlichen Literatur gelten Betriebe dann als Zombieunternehmen, wenn es ihnen „über einen längeren Zeitraum nicht gelingt, anhaltende Schuldzinsen aus dem Betriebs- und Beteiligungsergebnis, also aus dem Jahresüberschuss zu zahlen“. Sie machen Verluste und ihre Arbeitsproduktivität entwickelt sich im Vergleich zu anderen schlechter oder stagniert. Horn zeigt, wie sehr sich diese Unternehmen in den vergangenen Jahrzehnten vermehrt haben: Ende der 1980er-Jahre lag die Quote bei zwei Prozent, vor der Finanzkrise bei sieben Prozent, 2016 bei zwölf Prozent.

Was den Autoren besonders aufstößt: Die lange vor dem Corona-Lockdown (vor Corona waren nach Schätzungen der Bank of America in Europa bereits neun Prozent der Unternehmen Zombies) in Deutschland auf Stabilität ausgelegte wirtschaftspolitische Agenda, behindere Wandel und Innovation, indem sie nicht zulasse, dass sich der Markt selbst bereinigen kann. Horn: „Statt die notwendige Korrektur der Vermögenspreise zuzulassen, sorgt der Staat dafür, dass die Blasen nicht platzen, sondern ständig neue Nahrung erhalten.“ Die Wirtschaftspolitik, angefangen mit der expansiven Geldpolitik der 1980er-Jahre, habe die Fähigkeit der Unternehmen, vor allem der mittelständischen, für mehr „Wohlstand für alle“ zu sorgen, ausgehöhlt. Die meisten Betriebe seien heute nicht mehr in der Lage, ihre Arbeitsproduktivität zu steigern. Nur noch wenige Spitzenunternehmen erreichten die erforderliche Profitabilität.

Corona als Katalysator für Zombie-Vermehrung

Die Folgen der stagnierenden Arbeitsproduktivität: „Seit Mitte der 1990er Jahre steigen die Reallöhne nur noch marginal, die Politik sorgt mit Umverteilungsorgien für die Verneblung dieser Realität“, schreibt Horn. Dass nun auch noch Corona bei der Vermehrung der Zombieunternehmen wie ein Katalysator wirkt, ist kaum zu verhindern. Die einzige Chance, die Zombifizierung zu bekämpfen, sehen die Autoren darin, dass die Unternehmen oder einzelne Geschäftszweige, die eine aufgeblähte Kapitalbasis bewirken, komplett dichtgemacht werden müssen. „Die Kapitalbereinigung ist erforderlich, damit Unternehmen die notwendige Profitabilität erreichen, um die für die Produktivitätssprünge erforderlichen Investitionen zu stemmen.“ Wie heißt es so treffend: Besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.

Horn geht es um eine Neuordnung der Wirtschaft mithilfe von „schöpferischer Zerstörung“: Der Staat, muss „der Zombiewirtschaft ihre vielfältigen Stützen entziehen. Die Beendigung der Niedrigzinspolitik und der Verkauf der im Rahmen der Anleihekaufprogramme erworbenen Anleihen wären ein dringender erster Schritt in dieser Richtung“, erklärt der Autor. Horns Forderung: Statt defekte Geschäftsmodelle zu schützen, ist ein politischer Ordnungsrahmen notwendig, der die Autonomie der Unternehmen stärkt und Innovationen und wirtschaftlichen Wandel fördert. Konstituierende Richtlinien, wie das Haftungsprinzip, seien an entscheidenden Stellen ausgehebelt, der Grundgedanke eines funktionsfähigen Preismechanismus durch die Niedrigzinspolitik der EZB infrage gestellt, autonomes Handeln von Unternehmen und Konsumenten würde durch den Staat zu stark reguliert. Es gelte, die Partikularinteressen von Elitezirkeln zurückzudrängen, die eher an der Ausweitung ihres persönlichen Vermögens als an einem „Wohlstand für alle“ interessiert seien.

Fazit

Ein provokantes und notwendiges Buch, das schnörkellos die Gefahren der ausgehöhlten deutschen Wirtschaft aufdeckt. Man würde sich wünschen, dass dieses Buch in der Politik auch Gehör findet, um der Öffentlichkeit in einer breiten Debatte wenigstens die Problematik der sich selbst schreddernden Wirtschaft vor Augen zu führen. Zurzeit erinnert das nun auch noch durch Corona vermehrte Zukleistern der deutschen Wirtschaft mit Geld und sonstigen Stabilisierungsmaßnahmen an die erste und letzte Fahrt der Titanic: Das Schiff sinkt spürbar, aber Hauptsache ist, dass die Kapelle spielt.

Mehr von Alexander Horn lesen Sie in seinem aktuellen Buch „Die Zombiewirtschaft – Warum die Politik Innovation behindert und die Unternehmen in Deutschland zu Wohlstandsbremsen geworden sind“ mit Beiträgen von Michael von Prollius und Phil Mullan.

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Autor:

Dr. Martin Roos ist freiberuflicher Journalist. Er arbeitet als Autor, Ghostwriter und Redenschreiber für Unternehmen und Topmanager.

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