Auf der schwierigen Suche nach einer besseren Schuldenbremse

Seit Karlsruhe dem Bund untersagt hat, die Schuldenbremse über Sondervermögen zu umgehen, hat sich die Diskussion um eine Reform der verfassungsrechtlichen Regelung intensiviert. Diese Debatte ist wichtig. Auch eine gute Schuldenregel kann noch besser werden. Auch sind einige Einwände gegen die geltende Regel nicht von der Hand zu weisen. So berücksichtigt eine Fiskalregel, die allein auf das Defizit abstellt, in keiner Weise die Qualität der Ausgabenstruktur. Zudem ist unbestritten, dass auch ein Land mit ausgeglichenem Haushalt fiskalische Lasten in die Zukunft verschieben kann, indem es Zukunftsausgaben vernachlässigt.

Wichtig für eine gute Reformdebatte ist aber, dass sie nicht von falschen Annahmen ausgeht. Derzeit suggerieren die Kritiker der Schuldenbremse, die deutschen Haushaltsprobleme seien vor allem eine Folge der grundgesetzlichen Regelung. Würde diese nur gelockert, so die Argumentation, dann könnte Deutschland endlich wieder seine wichtigen Aufgaben von der Infrastruktur über die Verteidigung bis zur Energiewende durch höhere Verschuldung erfüllen. Diese Sichtweise leidet unter mindestens zwei Denkfehlern.

Deutschlands Verschuldungsspielraum ist auch ohne Schuldenbremse begrenzt

Erstens ist der Verschuldungsspielraum Deutschlands schon deshalb begrenzt, weil mit der Alterung und Schrumpfung der deutschen Bevölkerung das Wachstums- und Steuerpotenzial sinkt und der Ausgabendruck steigt. Tragfähigkeitsindikatoren zeigen, dass Deutschland angesichts des bevorstehenden demografischen Umbruchs einen erheblichen Konsolidierungsbedarf hat. Die Verschuldungskapazität Deutschlands wird zudem zunehmend durch die Garantien eingeschränkt, die die Bundesrepublik für andere EU-Staaten u.a. im Rahmen des Rettungsschirms Next Generation EU übernommen hat. Das europäische Gesamtbild der Schuldenstatistik zeigt, dass insbesondere die anderen großen Staaten der Eurozone – Spanien, Italien und auch Frankreich – durch nicht tragfähige Zeitpfade ihrer öffentlichen Haushalte gekennzeichnet sind. Dies belastet über die wachsende EU-Gemeinschaftshaftung auch die deutsche Bonität. All dies engt den verbleibenden Verschuldungsspielraum Deutschlands ein, unabhängig davon, ob eine Schuldenbremse im Grundgesetz verankert wird oder nicht.

Auch Mehreinnahmen aus Schulden würden für die Gegenwart verwendet

Zweitens ignorieren die Argumente für eine rasche Lockerung der Schuldenbremse weitgehend die politische Ökonomie der öffentlichen Haushalte. In den Jahren vor der Pandemie schwamm der Bundeshaushalt aufgrund stark gestiegener Einnahmen geradezu im Geld. Diese Mehreinnahmen wurden aber ganz überwiegend für höhere Sozialleistungen verwendet. [1]  Es gibt kein überzeugendes Argument, warum sich dieser Effekt nicht wiederholen sollte, wenn die Mehreinnahmen nach einer Lockerung der Schuldenbremse aus höheren Defiziten stammen.

Die Fehler bisheriger Reformvorschläge

Geht man also mit einer gesunden Skepsis an die derzeit auf dem Tisch liegenden Reformideen heran, so sucht man bislang vergeblich nach einem wirklich überzeugenden Konzept:

  • Erweiterung des Verschuldungsspielraums durch großzügige Konjunkturbereinigung: Diese Idee läuft darauf hinaus, sehr optimistische Annahmen, z.B. über erreichbare, deutlich höhere Beschäftigungsquoten, in die Schätzung des Potenzialwachstums einfließen zu lassen. Mit solchen Annahmen könnten auch hohe Defizite als „konjunkturell bedingt“ dargestellt werden. Die Schwächen solcher Vorschläge liegen auf der Hand. Es werden hohe Potenziale ausgewiesen, die ohne sehr weitreichende Reformen, die nicht in Sicht sind, utopisch sind.
  • Langsamerer Defizitabbau nach Krisen: Diese Idee wird unter anderem vom Sachverständigenrat vertreten. Nach einer Krise wie der Pandemie sollte es längere Übergangsfristen für den Defizitabbau geben. So pragmatisch dies klingt, so heikel ist dieser Weg. Die Fähigkeit, krisenbedingt hohe Defizite nach einer Normalisierung der Wirtschaftslage schnell wieder abzubauen, ist entscheidend für die Begrenzung der Staatsverschuldung. Länder wie Frankreich sind immer wieder auf dramatische Weise daran gescheitert, die als vorübergehend gedachten Krisenhilfen in guten Zeiten wieder einzusammeln. Diesem schlechten Beispiel sollte Deutschland nicht folgen. Es ist auch nicht zu erwarten, dass die höheren Defizitspielräume nach Krisenzeiten für Zukunftsaufgaben genutzt werden. Viel wahrscheinlicher ist, dass sie zur Fortsetzung von Erhaltungssubventionen und konsumtiven Transfers verwendet werden.
  • Goldenen Regeln: Regeln, nach denen höhere Schulden für Investitionen verwendet werden sollen, sind der Klassiker unter den Reformideen.  Solche Modelle wurden auch bei der Etablierung der heutigen Schuldenbremse vor 2009 diskutiert – und mit guten Gründen verworfen. Probleme wie die Quantifizierung der Abschreibungen, aber auch der unklare Begriff der öffentlichen Investitionen sind bis heute ungelöst. Die vom Wissenschaftlichen Beirat beim BMWK vorgeschlagene „Goldene Regel Plus“ überzeugt hier noch am ehesten, weil sie zusätzlich eine unabhängige Überwachung der Regeln vorschlägt, um einen Missbrauch der Investitionsklausel zu verhindern. Allerdings hat auch der Beirat keine Lösung für das Problem, dass der Begriff der „Investition“ heute kein guter Indikator mehr für Zukunftsausgaben ist.
  • Grundgesetzlich abgesicherte Sondervermögen: Auch eine Wiederholung des Modells „Bundeswehrsondervermögen“ für andere Zwecke wie Digitalisierung oder Energiewende ist kein Königsweg. Das Bundeswehrsondervermögen erhöht zwar auf dem Papier die Verschuldungsmöglichkeiten zugunsten der Bundeswehr. In der Gesamtbetrachtung mit dem Kernhaushalt verpufft dieser Zweck aber zumindest teilweise: Da die Bundeswehr aus dem Sondervermögen finanziert wird, konnten die Verteidigungsausgaben im Kernhaushalt weiter vernachlässigt werden. Indirekt hat das Sondervermögen mit seinen Schulden also die weitere Expansion der Sozialetats im Kernhaushalt finanziert.
  • Höhere Defizite im Paket mit Sozialreformen: Diese Idee des Wirtschaftshistorikers Albert Ritschl trifft den Kern einer wirklich überzeugenden Reform. Der Vorschlag lautet, eine Lockerung der Schuldenbremse mit einer umfassenden Rentenreform zu verbinden. Diese Rentenreform könnte den Bundeshaushalt von konsumtiven Ausgaben entlasten, so dass die Chance bestünde, zusätzliche Schulden tatsächlich für Zukunftsaufgaben zu verwenden. Allerdings ist diese Grundidee bisher nicht über eine Skizze hinausgekommen. Eine Blaupause für eine funktionsfähige und dauerhafte Verknüpfung von höheren Defizitgrenzen und einer nachhaltigen Eindämmung der Sozialausgaben liegt noch in weiter Ferne.

Aufgaben für die weiteren Reformüberlegungen

So muss man ehrlicherweise bilanzieren, dass keine der bisherigen Reformideen zur Schuldenbremse bereits in ihrer Ausgestaltung überzeugt.

Wohin sollte die Reise bei der weiteren Suche nach einer noch besseren Schuldenbremse gehen?

  • Erstens muss in der Debatte noch genauer unterschieden werden zwischen Staatsausgaben, die zwar politisch notwendig sind, aber keinen nennenswerten Wachstumsbeitrag zur Erhöhung der Schuldentragfähigkeit leisten, und solchen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit den deutschen Wachstumspfad anheben können. Nur für letztere sollte eine Schuldenfinanzierung in Betracht gezogen werden.
  • Zweitens sollte die Ausgestaltung einer Reform die Zusätzlichkeit („Additionalität“) der schuldenfinanzierten wachstumsfördernden Ausgaben sicherstellen. Dies ist ohne eine strikte Überwachung der Ausgabenstruktur nicht möglich.
  • Drittens müssten die Haushaltssysteme von Bund und Ländern in Richtung eines kaufmännischen Rechnungswesens weiterentwickelt werden, da ansonsten Goldene-Regel-Modelle mangels Daten über die Vermögensentwicklung nicht einmal ansatzweise sinnvoll umgesetzt werden können.
  • Viertens schließlich sollten kompliziertere Regeln von einer neutralen Aufsicht begleitet werden. Andernfalls würde die höhere Komplexität durch die Politik aller Erfahrung für neue Bilanzkosmetik genutzt.

Das Fazit dieser Bestandsaufnahme: Die Reformdiskussion um die Schuldenbremse ist noch weit von einem überzeugenden Ergebnis entfernt. Wenn es nicht gelingt, Blaupausen zu entwickeln, die diesen Anforderungen genügen, dann ist die bestehende Schuldenbremse bis auf Weiteres die beste, die wir haben können.

[1] Heinemann, F., & Steger, P. (2024). Mehr finanzielle Spielräume, mehr öffentliche Investitionen? ZEW Policy Brief 24-09, Juni. https://www.zew.de/publikationen/mehr-finanzielle-spielraeume-mehr-oeffentliche-investitionen

Autor:

Prof. Dr. Friedrich Heinemann leitet den Forschungsbereich „Unternehmensbesteuerung und Öffentliche Finanzwirtschaft" am ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung und lehrt Volkswirtschaftslehre an der Universität Heidelberg.

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