Auch eine goldene Regel kann eine dumme Regel sein

Die Monate seit dem wegweisenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Schuldenbremse vom 15. November waren haushaltspolitisch turbulent. Nachdem das Urteil der Schuldenfinanzierung des Klima- und Transformationsfonds (KTF) die Grundlage entzogen hatte, war das ganze auf Sondervermögen basierende Finanzierungskonstrukt der Bundesregierung ins Rutschen geraten. Neben dem KTF lassen sich damit auch die schuldenfinanzierten Energiehilfen im Wirtschafts- und Stabilisierungsfonds (WSF) und bei den Fluthilfen nicht mehr aufrechterhalten.

Mit dem Urteil hat sich die Debatte um die Schuldenbremse und ihren möglichen Reformbedarf verstärkt. Es mehren sich die Stimmen, dass Deutschland die notwendigen Zukunftsausgaben nur stemmen kann, wenn die deutsche Schuldenregel mehr Luft für höhere Defizite lässt. Dabei wird von vielen Ökonomen eine investitionsorientierte Regel befürwortet, die Schulden für Investitionen zulässt. Eine Reformdebatte über die Schuldenbremse ist gut und richtig. Auch eine gute Regel lässt sich verbessern. Gleichwohl ist das Plädoyer für eine „goldene Regel“, nach der Schulden für Investitionen zulässig sein sollten, vorschnell. Betrachtet man die Struktur des Bundeshaushalts und insbesondere auch die Entscheidungen nach dem Verfassungsgerichtsurteil, so sind folgende Beobachtungen bedeutsam.

Das Karlsruher Urteil zur strikten Interpretation der Schuldenbremse hat die Politik dazu gezwungen, Subventionen zu durchforsten und abzubauen. Dies war klar erkennbar für die reduzierte Mehrwertsteuer in der Gastronomie und den subventionierten Agrardiesel. Beide Steuersubventionen hatten von Finanzwissenschaftlern immer schon sehr schlechte Noten bekommen. Dennoch hatte die Finanzpolitik auf Druck der Lobbys daran festgehalten, solange noch Spielraum beim Schuldenmachen bestand. Erst die Härtung der Schuldenbremse durch das Urteil hat die Steuerpolitik zum Durchgriff gezwungen, so dass diese Subventionen enden oder allmählich abgebaut werden. Dieses Fallbeispiel zeigt, dass die Schuldenbremse hilft, eine rationale Finanzpolitik gegen intensiven Druck der Lobbys durchzusetzen. Umgekehrt würde eine schwächere Regel dazu führen, dass wieder mehr Sonderinteressen befriedigt werden. Eine angebliche Investitionsorientierung einer reformierten Schuldenbremse würde vermutlich bewirken, dass der neue Verschuldungsspielraum verwendet wird, um weiterhin gut organisierten Interessengruppen entgegen zu kommen.

„Ein höherer Verschuldungsspielraum lässt den Reformehrgeiz in der Subventions- und Sozialpolitik erlahmen.“

Wichtig für die Einschätzung der Schuldenbremse ist auch ein Blick auf die Ausgabestruktur. Im Bundeshauhalt 2024 mit seinem Umfang von 477 Mrd. Euro beansprucht alleine der Einzelplan Arbeit und Soziales 176 Mrd. Euro oder 37 Prozent aller Ausgaben. Bereits die Kosten für Rente und Einkommenssicherung im Alter alleine liegen bei 109 Mrd. Euro. Die Zinskosten für die Bundesschuld sind außerdem schon auf knapp 40 Mrd. Euro geklettert, das macht 8 Prozent der Gesamtausgaben aus. Im Vergleich: Die Schuldenbremse erlaubt mit der Obergrenze von 0,35% Defizit zu BIP aktuell 14,4 Mrd. Euro Nettokreditaufnahme. Betrachtet man diese Relationen, so wird völlig klar, wie überzogen die Hoffnung auf etwas höhere Defizite zur Steigerung von Investitionen ist. Selbst wenn man die Defizitobergrenze z.B. durch eine großzügige Reform gegenüber dem jetzigen Wert verdreifacht, wird dies nicht notwendigerweise den Spielraum für Investitionen erhöhen. Das vorhersehbare dynamische weitere Wachstum der Sozialausgaben und der Zinskosten würde den zusätzlichen Spielraum rasch auffressen. Dabei ist die zuvor beschriebene Erfahrung wichtig: Ein höherer Verschuldungsspielraum lässt den Reformehrgeiz in der Subventions- und Sozialpolitik erlahmen. Daher kann ein angeblich für Investitionen eröffneter zusätzlicher Verschuldungsspielraum dazu führen, dass indirekt letztlich Sozialausgaben schuldenfinanziert werden.

In der Debatte um eine mögliche goldene Regel für die Schuldenbremse wird dem zuvor skizzierten Problem eine zu geringe Aufmerksamkeit geschenkt. Entscheidend für eine höhere Zukunftsorientierung des Haushalts ist nicht die Erhöhung der Defizitobergrenze, sondern die Begrenzung der gegenwartsorientierten Posten auf der Ausgabeseite. Verschiedene Ansätze sind hier vorstellbar. Auf der Ebene des EU-Haushalts wurde jahrelang das „Additionalitätsprinzip“ (Prinzip der Zusätzlichkeit) angewendet. Mitgliedstaaten mussten bei der investiven Verwendung von EU-Transfers nachweisen, dass sie damit zusätzliche Investitionen finanzieren und nicht einfach ohnehin geplante Investitionen anders finanzieren. Genau eine solche Regel wäre unabdingbar, wenn eine goldene Regel für die Schuldenbremse käme. Es reicht nicht, Verschuldung für Investitionen zuzulassen. Denn dann könnte eine goldene Regel schnell zur dummen Regeln werden, die wiederum nur die Gegenwartinteressen finanziert. Zusätzlich müsste der Bund deshalb nachweisen, dass die schuldenfinanzierten Investitionen tatsächlich „on top“ zu den bislang finanzierten Investitionsniveaus kommen. All dies glaubwürdig abzusichern, dürfte schwierig werden.

Das Fazit aus diesen Erfahrungen und Überlegungen lautet:

Der Nutzen der Schuldenbremse ist noch nie so deutlich zu Tage getreten wie in den letzten Monaten. Wer bislang noch nicht vom finanzpolitischen Wert einer solchen Regel überzeugt war, ist heute eines besseren belehrt. Unter dem Druck der durch Karlsruhe präzisierten Schuldengrenze gelingt es der Politik endlich wieder, was so lange vergeblich gefordert wurde: eine deutlichere Priorisierung der Staatsausgaben und ein Abbau schädlicher Subventionen. Daher wäre es riskant, diesen Druck zur Prioritätensetzung durch höhere Defizitgrenzen wieder zu verringern. Die Debatte, ob die Schuldenbremse verbessert werden kann, ist legitim. Eine einfache goldene Regel – höhere Defizite zur Investitionsfinanzierung – wäre jedoch nicht ausreichend. Eine solche Reform müsste mit bindenden Vorgaben für die Ausgabeseite des Haushalts einhergehen. Andernfalls würde eine reformierte Schuldenbremse wieder nur zum Verschiebebahnhof neuer Schulden in Richtung höherer Transfers und Lobby-Geschenke.

Autor:

Prof. Dr. Friedrich Heinemann leitet den Forschungsbereich „Unternehmensbesteuerung und Öffentliche Finanzwirtschaft" am ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung und lehrt Volkswirtschaftslehre an der Universität Heidelberg.

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