20 Jahre Agenda 2010: Beispiellose Erfolgsgeschichte
Die Agenda 2010 steht nicht nur für jahrelange parteiinterne Diskussionen, sondern vor allem für eine herausragende Wende auf dem Arbeitsmarkt. 20 Jahre später fehlen flächendeckend Fachkräfte, den Sozialversicherungen droht die Überlastung, während gleichzeitig Rufe nach einer Vier-Tage-Woche und hohe Teilzeitquoten den Arbeitsmarkt unter Druck setzen. Neue Reformen sind überfällig.
Im Jahr 2003 war die Bundesrepublik noch eine andere: Mehr als vier Millionen Menschen waren arbeitslos, das Bruttoinlandsprodukt wuchs real kaum noch, es zeichnete sich ab, dass eine alternde Gesellschaft die Systeme überlasten würde. Mit der Agenda 2010 begründete die SPD in ihren eigenen Reihen jahrelange Diskussionen – und eine beispiellose Wende auf dem Arbeitsmarkt. Es waren nicht die von den Medien gehandelten Aushängeschilder der rot-grünen Regierung, die Deutschland auf den richtigen Weg brachten: Von „PersonalServiceAgenturen“, „Job-Floatern“ und anderen wirkungslosen Maßnahmen mit ähnlichen Unworten im Titel hat sich nichts bewährt. Stattdessen punktete das Herzstück – die Hartz-Reformen.
Ineffizienzen und Doppelstrukturen gestrichen
Vor allem eine weniger strikte Regulierung von Zeitarbeit schaffte nachweislich Hunderttausende Jobs. Hilfreich war darüber hinaus die Minijob-Reform, die vielen Arbeitslosen den Einstieg in den Arbeitsmarkt erleichterte. Ein dritter, sehr wirkungsvoller Baustein: Die rot-grüne Regierung kürzte das Arbeitslosengeld für Ältere von maximal 32 Monaten Bezugszeit auf 18 Monate – und schaffte damit für viele Ältere einen Anreiz, länger zu arbeiten. Der größte Baustein, die Vereinigung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zu Hartz IV, räumte Ineffizienzen und Doppelstrukturen vom Tisch. Die Zusammenlegung ebnete vielen ehemaligen Sozialhilfeempfängern den Zugang zur Arbeitsmarktpolitik.
Nie so wenig Arbeitslose wie heute
Das Ergebnis spricht für sich: Im Jahr 2003 zählte Deutschland noch rund 4,4 Millionen Arbeitslose, das entspricht einer Arbeitslosenquote von 10,5 Prozent. Zehn Jahre später waren es nur noch 2,9 Millionen Arbeitslose (6,9 Prozent), zuletzt schrumpfte die Zahl der Arbeitslosen sogar auf 2,4 Millionen (5,3 Prozent). Damit hat die Agenda 2010 eine beispiellose Erfolgsgeschichte geschrieben. Belegen lässt sich diese Entwicklung auch mit einem Blick nach Frankreich: Deutschland und Frankreich haben seit Jahrzehnten eine ähnliche Entwicklung ihres Wirtschaftswachstums, zwischen 1970 und 2021 wuchs das BIP jährlich im Schnitt um 1,45 Prozent (Deutschland) bzw. um 1,36 Prozent (Frankreich). Während in Deutschland die Zahl der Arbeitslosen seit den Reformen stetig schrumpft, entwickelt sie sich in Frankreich eher seitlich und stagniert seit Jahren bei etwa 9 Prozent.
Anreize für Arbeit sind elementar
Heute, 20 Jahre nach den Reformen, droht Deutschland erneut das Label „kranker Mann in Europa“. Der Fachkräftemangel erreicht stetig neue Höchstwerte und hat den Zenit noch lange nicht erreicht, schließlich sind viele Babyboomer noch im Job. Ideen wie die 4-Tage-Woche könnten kaum utopischer sein. Deutschland drohen in den kommenden Jahren ein enormer Wohlstandsverlust und eine Überforderung des Rentensystems, wenn nicht zügig gegengesteuert wird. Es bräuchte eine reguläre 42-Stunden-Woche, ähnlich wie in der Schweiz und in Schweden, um dem demografischen Wandel entgegenzutreten und die Lücken zu schließen. Die Bundesregierung darf unbequeme Tatsachen nicht ignorieren – und zugunsten von Beliebtheitswerten die Erfolge der Vergangenheit leichtfertig verspielen. Neue Reformen sind überfällig.
Dieser Blogpost erschien zuerst auf der Website des Instituts der deutschen Wirtschaft:
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Autor:
Prof. Dr. Michael Hüther ist Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft.