Steuerzahler müssen 30 Milliarden Euro zusätzlich in Rentenkasse buttern
Weil vor der Corona-Krise ohne Grund der Nachholfaktor in der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) ausgesetzt wurde, muss der Steuerzahler bis 2030 Schätzungen zufolge gut 30 Milliarden Euro zusätzlich zur Stabilisierung des Rentensystems aufbringen. Und auch die Beitragssätze werden um bis zu 0,9 Prozentpunkte stärker steigen. Das sind Ergebnisse einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) im Auftrag der INSM.
In Kürze:
- Die Aussetzung des Nachholfaktors in der Rentenversicherung führt in den Jahren zwischen 2020 und 2030 zu Mehrkosten für den Steuerzahler von schätzungsweise 30,7 Milliarden Euro.
- Die Beitragszahler müssen in der Spitze bis zu 0,9 Prozentpunkte mehr zahlen. Die Folge: Ohne Nachholfaktor überschreitet der Beitragssatz direkt nach Ende der Doppelten Haltelinie im Jahr 2025 die 20-Prozent-Marke. Mit Nachholfaktor würde dies erst 2029 geschehen.
- Für eine gerechte Lastenverteilung zwischen den Generationen fordert die INSM die Wiedereinsetzung des Nachholfaktors zum 1. Januar 2021.
Die Corona-Krise trifft viele Menschen. In erster Linie jene, die an der Virusinfektion erkranken, darüber hinaus die, welche infolge der Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten. In finanzieller Sicht kaum betroffen sind dagegen die Rentner. Das liegt an drei Besonderheiten des Systems der Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV):
- Die Höhe der Renten hängt neben dem langfristigen demografischen Trend entscheidend von der Lohn- und Beschäftigungsentwicklung ab. Die Rentenanpassung läuft dabei der Situation am Arbeitsmarkt hinterher. So war der Rentenanstieg zum 1. Juli dieses Jahres (im Westen plus 3,45 Prozent, im Osten plus 4,20 Prozent) Folge günstiger Arbeitsmarktentwicklung in den Vorjahren.
- Der Beschäftigungseinbruch und ein möglicher Bruttolohnrückgang während der Corona-Krise im Jahr 2020 hätten rechnerisch im nächsten Jahr eine negative Rentenanpassung zur Folge. Die Renten müssten also sinken. Aber es gibt im deutschen Rentengesetz die sogenannte Rentengarantie. Diese verhindert nominale Kürzungen im Rahmen der jährlichen, regelgebundenen Rentenanpassung immer dann, wenn Lohn- und Beschäftigungsentwicklung negativ sind. Wahrscheinlich ist daher bei der nächsten zum 1.7.2021 anstehenden Rentenanpassung eine Nullrunde.
- Eigentlich gibt es in der Gesetzlichen Rentenversicherung den sogenannten Nachholfaktor. Dieser soll bewirken, dass vor der jährlich erfolgenden Rentenanpassung zunächst berücksichtigt wird, ob in der Vergangenheit eigentlich notwendig gewesene, aber aufgrund der Rentengarantie unterbliebene Rentenkürzungen eine nachträgliche Würdigung finden können. Ein intakter Nachholfaktor würde so die hohen Kosten der Pandemie dosiert in Form geringerer Rentensteigerungen auf die Jahre nach 2021 verteilen. Die Kombination aus Rentengarantie und Nachholfaktor soll mittelfristig die Rentenentwicklung verstetigen. Doch die Politik hat den Nachholfaktor 2018 ohne Not bis Mitte des Jahres 2026 ausgesetzt. Das wird in der Corona-Pandemie zum Problem: Die von der INSM in Auftrag gegebene Studie „Auswirkungen des Rentenpaktes in der Wirtschaftskrise“ (PDF) des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) prognostiziert, dass die Steuerzahler infolge des ausgesetzten Nachholfaktors von 2020 bis 2030 in der Summe gut 30 Milliarden Euro zusätzlich für die Stabilisierung des Rentensystem werden aufbringen müssen (siehe auch Grafik unten).
Und nicht nur die Steuerzahler werden wegen des fehlenden Ausgleichsmechanismus zur Kasse gebeten werden. Auch die Beitragszahler in der Gesetzlichen Rentenversicherung müssen mit höheren Abgaben rechnen. Der Beitragssatz wird ab 2025 ohne Nachholfaktor noch deutlicher steigen als er dies wegen der demografischen Entwicklung sowieso schon tun wird (siehe Grafik unten). In der Spitze wird der Beitragssatz 0,9 Prozentpunkte über jenem Szenario mit Nachholfaktor liegen.
Besonders schlimm: Selbst wenn der Nachholfaktor, wie in der aktuellen Gesetzeslage vorgesehen, ab Mitte 2026 wieder in Kraft tritt, werden die finanziellen Folgen noch Jahrzehnte spürbar sein, denn die höheren Rentenanpassungen infolge des ausgesetzten Nachholfaktors werden dauerhaft höhere Steuer- und Beitragszahlungen notwendig machen. So wird der Beitragssatz durch den nach heutigem Stand bis Mitte des Jahrzehnts ausgesetzten Nachholfaktor ab 2030 dauerhaft 0,4 Prozentpunkte höher liegen.
Die INSM fordert die Politik daher auf, den Nachholfaktor schnellstmöglich wieder in Kraft zu setzen. Ohne diesen Korrekturmechanismus drohen eine einseitige Belastung der Beitragszahler und hohe Kosten für die Steuerzahler. Rentenbezieher sollen weiter von steigenden Löhnen und somit steigendem Wohlstand profitieren. Dazu müssen sie aber solidarisch auch die Folgen dieser Krise mitschultern. Ohne Nachholfaktor würden die Renten künftig stärker steigen als die Löhne. Der Generationenvertrag ist nur gerecht, wenn er in guten wie in schlechten Zeiten von beiden Seiten eingehalten wird.