Mit der Schuldenbremse wachsen
Die Schuldenbremse ist in der Corona-Pandemie ausgesetzt. Aus gutem Grund. Doch wir sollten besser früher als später zu ihr zurück. Plädoyer für eine Regel, die ihre positive Wirkung erst in Krisen wie dieser entfaltet.
Gäbe es die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse nicht, sie müsste hier und heute, inmitten der Pandemie, eingeführt werden. Denn hätten wir in den vergangenen Jahren unsere Haushalte in Bund und Ländern nicht ohne Verschuldung finanziert und darüber hinaus bestehende Schulden abgebaut, würden uns in dieser schwierigen Zeit finanzielle Ressourcen fehlen, um die Folgen der notwendigen Maßnahmen zur Eindämmung der Virusausbreitung zu begrenzen.
Kaum ein Land der Welt zahlt niedrigere Zinsen für seine Schulden als Deutschland. Auch nicht so mächtige Staaten wie die USA. Markt relativiert Macht. Wenn Anleger Sorge haben, dass sie ihr geliehenes Geld nicht wiedersehen, verlangen sie höhere Zinsen. Und wer schon viele Schulden hat, muss für neue Schulden mehr ausgeben. So wie die USA müssen Staaten mit enormer Schuldenlast höhere Zinskosten tragen als wir in Deutschland.
Schuldenbremse verbessert Bonität
Die Schuldenbremse hilft aber nicht nur bei der aktuellen Bewältigung der Pandemie, sie schützt auch die künftige Generation. Die Rekordneuverschuldung während der Pandemie werden die Bürgerinnen und Bürger der Zukunft mit ihren Steuern auf Kapital und Arbeit begleichen müssen. Die Last aber wäre nochmals deutlich höher, wenn nicht die Bonität der Bundesrepublik dank der Schuldenbremse exzellent wäre.
Von nachhaltigen Staatsfinanzen profitiert also die kommende Generation. Wie bei der Nachhaltigkeit in der Sozialversicherung und den natürlichen Lebensgrundlagen gilt auch beim Haushalt: Wir sollten nicht auf Kosten der Zukunft leben.
Wie kommt es aber dann, dass mitten in einer Zeit, in der die Ernte der Schuldenbremse eingefahren wird, über deren längerfristige Aussetzung diskutiert wird? Weil die Schuldenbremse für die Politik unbequem ist. Sie zwingt diese regelmäßig zum Realitätscheck. Statt nur neue Ausgabenwünsche umzusetzen (wofür Politikerinnen und Politiker gewählt werden), müssen diese durch zusätzliche Steuereinnahmen gegenfinanziert werden (wofür Politikerinnen und Politiker tendenziell nicht gewählt werden). Das Verschieben dieses unangenehmen Teils von Politik auf jene Generation, die noch keine Stimme hat, wird durch die Schuldenbremse deutlich eingeschränkt.
Schuldenbremse hilft in der Pandemie
Obwohl die Schuldenbremse die Politik vor schlechter Politik schützt (Selbstschutz-Funktion) hat, diese also tendenziell kein Interesse an ihr. Dass sie dennoch eingeführt wurde, halten manche noch immer für eine Art Wunder, war aber im Kern ein Sieg von Überzeugungsarbeit und Vernunft.
Wir sollten weiter vernünftig bleiben. Wir müssen mit Krisen leben. Ihr Auftreten ist so sicher wie deren Zeitpunkt ungewiss. Wer aber vorbereitet ist, kann besser damit umgehen. Im privaten Leben heißt es: „Spare in der Zeit, dann hast du in der Not.“ Der Staat schafft es nicht zu sparen. Vielleicht ist das auch nicht seine Aufgabe. Aber er sollte in guten Zeiten nicht mehr ausgeben als er einnimmt, damit er in schlechten die Fähigkeit zur Schuldenaufnahme nicht verliert. In welche Schwierigkeiten Staaten – und deren Bürgerinnen und Bürger – geraten, die zu Beginn einer Krise bereits hoch verschuldet sind, hat die Finanzkrise vor mehr als einem Jahrzehnt schmerzhaft gelehrt.
Aber verhindert die Schuldenbremse nicht auch Zukunft? Weil sie Investitionen bremst? Wir glauben Nein. Warum nämlich sollte mit Schuldenmachen der Anteil der Investitionen an den Staatsausgaben zunehmen? Wenn das politikökonomische Argument richtig ist, dass die Politik vornehmlich dazu neigt, Wählerinnen und Wählern augenblickliche Leistungen zu versprechen, weshalb sollte Politik dann anders reagieren, wenn sie das Geld jener Menschen nimmt, die heute noch nicht geboren sind?
Es ist wichtig und richtig, darüber nachzudenken, wie wir den Anteil staatlicher Investitionen an den Staatsausgaben ausbauen können. Diese Herausforderung wird durch den demografischen Wandel in den kommenden Jahren noch deutlich zunehmen. Die Ausgaben in den Sozialversicherungssystemen werden steigen und eine ältere Bevölkerung ist noch stärker geneigt, jener Politik die Stimme zu geben, die kurzfristige Wohltaten verspricht (Konsum) statt langfristige (Investitionen).
Genug Spielraum für Investitionen
Die Schuldenbremse lässt genug Spielraum für Investitionen, die Politik muss sie nur wollen. Das zeigt auch ein Blick auf die Investitionen des Staates in den vergangenen Jahren: Trotz Übererfüllung der Schuldenbremse ist der Anteil der staatlichen Investitionen nach Abschreibungen als Anteil an der Wirtschaftsleistung deutlich gestiegen. Und die Empirie bestätigt: Fiskalregeln, insbesondere solche die gesetzlich festgeschrieben sind wie die Schuldenbremse, fördern das Wirtschaftswachstum tendenziell.
Die Schuldenbremse lässt, ja ermöglicht gar mittelfristig der Politik genug Gestaltungsspielraum für eine priorisierende Ausgabenpolitik!
Wer nach der Corona-Pandemie zurück zum Wachstum will, sollte daher eher früher als später zurück zur Schuldenbremse. Möglicherweise bereits im kommenden Jahr, falls die Wirtschaftsleistung bereits zum Jahreswechsel auf Vorkrisenniveau steigt. Die Einhaltung der Schuldenbremse im Jahr 2022 vorzeitig für nicht machbar zu erklären, zeigt dagegen wenig ökonomisches Verständnis und verrät viel politische Motivation.
Die Verlockungen sind augenblicklich groß, von der Schuldenbremse dauerhaft die Finger zu lassen. Auch weil niedrige Zinsen die Verschuldung zu geringen Kosten erlauben. Wir wissen aber weder, wann die Inflation zunimmt und die Zinsen steigen, noch wann die nächste Krise uns ereilt. Wir wissen aber, die nächste Krise kommt bestimmt. Damit wir dann ähnliche finanzielle Möglichkeiten haben wie in der gegenwärtigen Krise, dafür ist die Schuldenbremse die beste Garantie.