10 Fakten zu Bürokratie
Bürokratie beinhaltet gesetzlich bedingte Informations- und Dokumentationspflichten sowie die damit verbundenen Kosten und Zeitressourcen. In einem erweiterten Verständnis umfasst es auch private und halb-öffentliche Regelungen, die aus staatlichen Vorgaben resultieren können.
Bürokratieabbau in Deutschland ist ein Muss
Keine Frage, ein gewisser Regulierungsrahmen ist notwendig, um das Funktionieren von Staat und Wirtschaft zu organisieren. Denn das ist Bürokratie im eigentlichen (positiven) Sinne: die Umsetzung von Entscheidungen in einem geregelten Ablauf auf Basis von Gesetz und Vorschrift zu organisieren. Bürokratie stellt damit Genauigkeit, Planbarkeit und eine (effiziente) Routine sicher. Sie bestimmt den Handlungsspielraum von Unternehmen, schützt den Wettbewerb und schafft Rechtssicherheit. Doch in Deutschland nimmt die Bürokratie immer weiter zu: Vorschriftenflut, Papierverbrauch, komplizierte Regelungen, eine nicht oder wenig digitalisierte Verwaltung, europäische Regulierungswut, ganze Zimmer voller Aktenordner für EINEN Antrag, jahrelange Genehmigungsverfahren, der wahnwitzig langsame Abschied vom Faxgerät und so weiter. Die Komplexität und die Vielzahl der administrativen Hürden hierzulande haben sich auf ein Niveau hochgeschraubt, das von Unternehmen und Bürgern und zunehmend von der Verwaltung selbst kaum noch zu bewältigen ist. Für die Wirtschaft entstehen dadurch Kosten in Milliardenhöhe, die ständig weiter anschwellen. Da bleibt kaum noch Luft, um die eigentlichen Herausforderungen wie Demografie, Digitalisierung und Dekarbonisierung anzupacken. Die Bürokratie wird folglich zunehmend zum Standortnachteil. Warum in Deutschland investieren, wenn es anderswo schneller, einfacher und damit günstiger geht? Diese Faktensammlung stellt die wichtigsten Punkte rund um das Thema Bürokratie und deren dringend benötigten Abbau dar.
Fakt 1
Die Bürokratie in Deutschland wächst
Der Trend zur Bürokratisierung lässt sich an der steigenden Zahl an Gesetzen festmachen. Im Jahr 2022 zählte das Bundesjustizministerium 1.773 gültige Bundesgesetze mit 50.738 Einzelnormen sowie 2.795 Verordnungen mit 42.590 Einzelnormen. Im Jahr 2010 galten dagegen noch 1.668 Gesetze mit 43.085 Einzelnormen und 2.655 Rechtsverordnungen mit 36.850 Einzelnormen. Deutschland sieht sich also mit einem immer größeren Regelwerk konfrontiert. Das kostet Wirtschaft, Verwaltung und Bürger bares Geld, denn die Regeln müssen umgesetzt und eingehalten werden. Allein für die Wirtschaft hat sich dieser sogenannte laufende Erfüllungsaufwand in den wenigen Jahren seit 2020 mehr als verdreifacht. Laut dem Nationalen Normenkontrollrat kletterte er zuletzt (Berichtszeitraum 2022/23) auf 14,4 Milliarden Euro von 10,6 Milliarden Euro 2021/22. Im Berichtszeitraum 2020/21 hatte er noch bei 4,2 Milliarden Euro gelegen. Damit nimmt der Erfüllungsaufwand zur Umsetzung der Regulierungsinhalte stark zu, während die rein administrativen Kosten als eng abgegrenzter Bürokratieaufwand kaum steigen.
Fakt 2
Bürokratie raubt neben Geld auch Kraft
Die eher emotionalen und psychologischen Aspekte einer überbordenden Bürokratie werden beim genannten Erfüllungsaufwand nicht gemessen. Eine Unternehmensbefragung durch das Institut für Mittelstandsforschung (IfM Bonn) ergab, dass die Unternehmen den reinen Kostenaufwand von Bürokratie deutlich seltener als hoch bzw. sehr hoch bezeichneten, dafür aber umso mehr Bürokratie als einen Kraftakt sehen, der ihnen große Teile ihrer Energie raubt. Mit 90,2 Prozent gaben fast alle der befragten Unternehmen an, sehr stark in ihrer Aufmerksamkeit, persönlichen Kraft und Energie durch Bürokratie belastet zu sein. Damit ist dies für die Unternehmen die größte Belastung, noch vor Zeit- (83,3 Prozent) und Kostenaufwand (66,5 Prozent).
Fakt 3
Bürokratie bremst Investitionen
Die Belastung von Unternehmen durch Bürokratie ist einer Befragung des Instituts für Mittelstandsforschung (IfM Bonn) zufolge in den vergangenen Jahren so stark gestiegen, dass sie die Geschäftstätigkeit mittlerweile erheblich beeinträchtigt. So haben in der Vergangenheit bereits mehr als 40 Prozent der befragten Unternehmen Investitionen nicht getätigt, weil die Bürokratiehürden zu hoch waren. In Zukunft wollen aus diesem Grund fast 60 Prozent auf Investitionen verzichten. Ein Grund hierfür dürfte auch die direkt auf Investitionen wirkende Planungs- und Genehmigungsbürokratie sein, die ständig wächst. Fast 80 Prozent der Unternehmen geben an, dass sie künftig voraussichtlich die Freude an ihrer unternehmerischen Tätigkeit aufgrund der starken Bürokratiebelastung verlieren werden. Die Bürokratie hat sich also zu einer veritablen Investitions- und Wachstumsbremse entwickelt und schmälert die Attraktivität des Standorts Deutschland.
Fakt 4
Der Staatsapparat wird immer aufgeblähter
Im öffentlichen Dienst arbeiten immer mehr Menschen. In den vergangenen zehn Jahren hat die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten und Beamten – ohne Beschäftigte bei Sozialversicherungen – um 14 Prozent auf 4,83 Millionen (2022) zugelegt. Das waren rund 584.000 mehr als 2012. Mit Blick auf bestimmte Bereiche wie die Kinderbetreuung ist der Personalaufbau gut und wichtig. Auffallend ist aber auch ein deutliches Stellenplus bei Bund, Ländern und Kommunen im Bereich „politische Führung und zentrale Verwaltung“. Beim Bund stieg die Zahl hier um 11.000 (32 Prozent), bei den Ländern um 28.000 (21 Prozent) und bei den Kommunen gar um 79.000 (27 Prozent). Hier liegt die Vermutung nahe, dass Stellen nicht zuletzt aus politischen Gründen geschaffen worden sind. Einer INSM-Analyse zufolge sind allein seit Antritt der Ampel-Regierung 11.507 neue Beamtenstellen in der Bundesverwaltung entstanden – ein Plus von 6,3 Prozent, verglichen mit 2021. Auch die GroKo-Vorgängerregierung war hier nicht sparsamer. Mit Blick auf die benötigte schlanke und effiziente Verwaltung ist der Stellenaufbau kontraproduktiv, da er zu höheren Kosten und mehr Bürokratie führt. Um den Staatsapparat wieder auf ein Normalmaß zu schrumpfen, könnte man die Regelung „one-in, two-out“ auch in der Personalpolitik für Beamte anwenden.
Fakt 5
Papierverbrauch durch Bürokratie belastet die Umwelt
Der Papierverbrauch in Deutschland ist seit Jahren höher als in anderen Ländern. Dabei zählen die Bundesregierung und ihre nachgeordneten Behörden sowie Einrichtungen der unmittelbaren Bundesverwaltung mit zu den größten Verursachern. So haben sie im Jahr 2022 rund 740 Millionen Blatt DIN-A4-Papier und mehr als 13 Millionen Blatt im Format DIN A3 verbraucht. Viel Papier lagert nicht nur zwischen Aktendeckeln auf Bürotischen, sondern zirkuliert auch durch die im 19. Jahrhundert erfundene Rohrpost im Bundestag. Dabei werden zylinderförmige Behälter mit Dokumenten oder anderen Gegenständen per Druckluft durch ein Rohrsystem zum Empfänger katapultiert. Die Bundesregierung hat erst Anfang 2024 auf Anfrage mitgeteilt, dass sie „wegen zahlreicher Vorteile“ dieser Übermittlung in den Gebäuden des Bundestags nicht über eine Absetzung nachdenke. Gäbe es weniger Bürokratie und mehr Digitalisierung, würde weniger Papier verbraucht und damit die Umwelt entlastet werden.
Quelle: BT-Drucksache 20/9828
Fakt 6
Die Gründe für wachsende Bürokratie sind vielfältig
Was sind die Treiber von Bürokratie? Experten haben dazu wissenschaftliche Modelle entwickelt, die zumindest einen Teil der Ursachen erklären sollen. Bekannte Modelle wie die Prinzipal-Agent-Theorie oder das Bürokratiemodell von William A. Niskanen gehen im Kern davon aus, dass Bürokraten und/oder Politiker immer Handlungsspielräume haben bei der vom Wähler „beauftragten“ Zielerfüllung und diese Spielräume in einem gewissen Ausmaß zu ihrem eigenen Vorteil nutzen. Auch gelten Kostensenkungen aus der Innensicht der öffentlichen Verwaltung als wenig interessant, denn sie ziehen in der Regel Budgetkürzungen im Folgejahr nach sich. Bürokraten können mit höherem Budget dagegen ihren Nutzen mehren (mehr Personal, mehr Prestige). Andere mögliche Gründe für immer mehr Bürokratie sind, dass die Politik sich nicht der Kosten bewusst ist, die eine Regelung für andere auslöst, wie etwa aktuell im Fall des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes. Zudem fehlt meist der politische Anreiz, überflüssige Regeln wieder abzuschaffen. Das liegt unter anderem daran, dass die Vorteile des Bürokratieabbaus im Allgemeinen eher langfristig zum Tragen kommen und breit gestreut auftreten – somit fehlt die politische Sichtbarkeit, verglichen mit dem Beschluss neuer Regelungen.
Quelle: Bürokratie und ihre Folgen für die Wirtschaft in Deutschland, Haucap/Kehder/Loebert, 2024
Fakt 7
Modernisierung der Verwaltung ist ein wichtiges Instrument zum Bürokratieabbau
Deutschland gehört innerhalb der EU zu den Schlusslichtern bei der Verwaltungsdigitalisierung. Die Regierung ist an ihren eigenen Zielen, die sie im Onlinezugangsgesetz (OZG) festgelegt hatte, gescheitert. Sie wollte bis Ende 2022 insgesamt 575 öffentliche Dienstleistungen online verfügbar machen. Ein gutes Jahr nach Ablauf dieser Frist waren 153 der 575 Angebote bundesweit online (Stand: 25. Januar 2024). Spitzenreiter war bis dato Bayern mit 251 flächendeckenden Angeboten, Nachzügler das Saarland mit 164 Leistungen. Dabei könnten Unter- nehmen etwa durch die Verwirklichung des Once-only-Prinzips effektiv von Bürokratie entlastet werden. Die Idee dahinter ist, dass Behörden Daten nicht mehrfach abfragen. Dafür müsste die Politik dem Datenmanagement eine höhere Priorität einräumen. Solange Prozesse und Dienstleistungen sowie die Arbeit der Behörden selbst nicht digitalisiert sind und Cloudlösungen nicht vorangetrieben werden, wird dies einen nennenswerten Bürokratieabbau verhindern. Die Experten des Nationalen Normenkontrollrats empfehlen Jahr für Jahr, was die Regierung tun sollte. Auch ein Blick nach Österreich könnte helfen: Der ebenfalls föderal organisierte Nachbar ist beim E-Government unter anderem dank einer zentralen Agentur für die Digitalisierung der Behördenangebote viele Schritte weiter.
Fakt 8
Überbordende Bürokratie verschärft den Fachkräftemangel
Die immer umfassenderen Dokumentations- und Informationspflichten von Unternehmen etwa durch das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz bindet immer mehr Personal auf unproduktive Weise. Auch verhindert Bürokratie, dass die Unternehmen dem Fachkräftemangel durch Rekrutierung im Ausland entgegenwirken können. In der Konsequenz leiden immer mehr Unternehmen immer stärker unter Personalengpässen – und dies über alle Größenklassen, Branchen und Funktionsebenen hinweg. Die Personalknappheit beeinträchtigt die Geschäftstätigkeit der Unternehmen mit entsprechend negativen Folgen für Umsätze, Wachstum und Innovationsfähigkeit. Verschiedene Studien haben sich mit den konkreten Belastungen für Unternehmen befasst. Deloitte ermittelte beispielsweise für die Versicherungs- und Maschinenbaubranche, dass 4 bis 7 Prozent der jährlichen Gesamtaufwände der untersuchten Unternehmen auf regulatorisch bedingte Personal- und Sachkosten entfallen.
Fakt 9
Bürokratie verhindert Unternehmensgründungen
Bürokratie ist neben den hohen Energiepreisen und der demografischen Entwicklung ein wichtiger Standortnachteil für Deutschland. Dadurch verliert der hiesige Standort national und international an Attraktivität. Die Anzahl an Unternehmensgründungen ist ein wichtiger Indikator für die wirtschaftliche Entwicklung. Neue Firmen schaffen Jobs und geben wichtige Impulse für Innovationen. Umso bedenklicher ist das rückläufige Gründungsgeschehen in Deutschland. 2022 verringerte sich die Zahl der Gründungen größerer Betriebe um mehr als 9 Prozent. Dies ist auch auf die zunehmende Bürokratie in Deutschland zurückzuführen. So senkt eine Zunahme der Anzahl erforderlicher Prozeduren für eine Unternehmensgründung um 1 Prozent die Anzahl der Unternehmensgründungen durchschnittlich um 0,376 Prozent. Konkret bedeutet das: Wenn die Anzahl der erforderlichen Prozeduren für eine Unternehmensgründung um 10 Prozent sinken würde, könnte eine Erhöhung der Unternehmensgründungen von 3,76 Prozent herbeigeführt werden.
Quelle: Destatis, 2023
Fakt 10
Unternehmen haben klare Vorstellungen vom Bürokratieabbau
Das Bonner Institut für Mittelstandsforschung (IfM Bonn) hat die Firmen in Deutschland nach den drei wichtigsten Ansatzpunkten für den Abbau von Bürokratie durch die Politik gefragt. An erster Stelle steht die Reduzierung von Berichts- und Dokumentationspflichten. Mehr als zwei Drittel der Unternehmen wünschen sich hier eine Entlastung. Mit jeweils noch über 50 Prozent schafften es die Beschleunigung von Antrags- und Genehmigungsverfahren sowie eine konsequente Digitalisierung der Verwaltungsleistungen und -verfahren auf die Plätze zwei und drei. Zwar hat die Bundesregierung für ihr nächstes Bürokratieentlastungsgesetz auch Verbände befragt, doch nur etwa 50 von 442 Einzelvorschlägen haben es in den Gesetzentwurf geschafft. Die Bundesregierung hat das Entlastungsvolumen des Gesetzes für weniger Bürokratie auf jährlich 682 Millionen Euro für Bürger, Wirtschaft und öffentliche Verwaltung beziffert. Dies ist angesichts der Gesamtbelastung von etwa 65 Milliarden Euro jährlich allein bei den administrativen Bürokratiekosten im Wirtschaftssektor ohne den Erfüllungsaufwand nicht viel.
Ausgewählte Quellen
Wachstum statt Stagflation: Vorschläge für eine Rückkehr zur Angebotspolitik
Expertise im Auftrag der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) von Prof. Dr. Jan Schnellenbach, Januar 2023
Statistisches Bundesamt, 2023
Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung, 2023
Women in tech: The best bet to solve Europe’s talent shortage
McKinsey, 2023
Die wichtigsten Steuern im internationalen Vergleich 2021
Bundesministerium der Finanzen, 2021
Nationaler Normenkontrollrat, Jahresbericht 2023: Weniger, einfacher, digitaler. Bürokratie abbauen. Deutschland zukunftsfähig machen.
Jahresbericht 2023 (bmj.de)
Bürokratie und ihre Folgen für die Wirtschaft in Deutschland.
Haucap/Kehder/Loebert, 2024
Analyse zur Bürokratiebelastung in Deutschland – Wie kann ein spürbarer Bürokratieabbau erreicht werden? Studie des Instituts für Mittelstandsforschung (IfM Bonn).
Holz/Icks/Nielen, 2024
Studie zur Bürokratiebelastung (IfM) – INSM
Stellenmehrung in der Bundesverwaltung, INSM (Hrsg.).
Berndt H., 2024
Öffentlicher Dienst: Mehr Personal, noch mehr Bedarf, IW-Kurzbericht
Hentze/Kauder, 2024
Öffentlicher Dienst: Mehr Personal, noch mehr Bedarf
Institut der deutschen Wirtschaft (IW)
Kostenbarometer Regulatorik: Regulatorische Aufwände für Unternehmen der Versicherungsbranche und des Maschinenbaus, Düsseldorf.
Deloitte, 2021
Studie: Kostenbarometer Regulatorik, Deloitte Deutschland
Destatis, 2023, Statistisches Bundesamt 2023 Pressemitteilung Nr. 061